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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Dorn in ihrem Fleisch!«
    »Ich hoffe, daß sich die Wunde entzündet«, erwidert Atan mit schiefen Lächeln. Er warf einen Blick aus dem Fenster und sagte:
    »Bevor es dunkelt, will ich nach den Pferden sehen.«
    »Du kannst sicher sein, sie wurden gut gepflegt!« rief Birman stolz. »Auf unseren Weiden hält sich das Gras am längsten, wegen der Quellen.«
    Sein Gesichtsausdruck zeigte, daß er auf angemessene Belohnung hoffte. Er führte uns zu einer Koppel hinter dem Haus. Neben einem Wassertrog standen, mit einer Leine an einem Pfahl festgebunden, zwei Pferde. Ein zottiger, brauner Wallach und ein Hengst. Ich hatte zuerst nur Augen für den Hengst. Es war von einem ganz besonderen perlmuttweiß, das im Abendlicht fast aprikosenfarben schimmerte.
    Das Pferd war gedrungen, kräftig, hatte einen wunderschönen Kopf.
    Der lange Schweif berührte fast den Boden. Die gekräuselte Mähne fiel tief herab zwischen die Augen. Die Beine waren leicht und doch stark. Atan musterte schweigend beide Pferde, als wollte er mit dem Blick ihre Kräfte erforschen, ihr Wohlbefinden und ihre Ausdauer.
    Schließlich meinte er:
    »Ich glaube, die Tiere sind gut erholt.«
    Birman warf beide Arme hoch.
    »Gut erholt?« rief er. »Herr, diese Pferde gehen über die höchsten Pässe wie über einen Teppich aus Gras!«
    Statt zu antworten, stieß Atan einen kurzen, schrillen Pfiff aus. Der 205
    Hengst ließ die Ohren spielen, wandte den Kopf mit anmutigem Schwung. In den kaffeebraunen Augen erwachte ein Schimmer. Er trabte heran, mit wippender Mähne, willig, aber ohne Hast. Der stämmige Wallach drängte neugierig hinter ihm her. Atan umfaßte mit beiden Armen den Kopf des Hengstes, preßte ihn an seine Schulter.
    »Sein Name ist Ilha«, sagte er zu mir. »Wir sind gute Freunde.
    Aber Ilha dient mir nur aus eigenem Willen. So sind unsere Pferde.«
    Er wies auf den Wallach. »Das ist Bemba. Ich habe ihn für Sonam ausgesucht, weil er ein umgängliches Wesen hat.«
    Als Schulmädchen hatte ich einmal die Ferien auf einem Gestüt am Bodensee verbracht, die Boxen ausgemistet und dafür reiten dürfen.
    Das war schon lange her. Mir schwante nichts Gutes. Reine Willenssache, dachte ich, und lächelte etwas verkrampft. Immerhin wollte ich mich nicht zu sehr blamieren. Atan blinzelte mir zu. Er schien genau zu merken, was in mir vorging.
    »Bemba ist nicht mehr jung und wird dich zuverlässig tragen. Aber zuerst muß er wissen, wer du bist.«
    Er nahm meine Hand, legte sie dem Wallach auf die Stirn. »Reib ihn zwischen den Augen«, sagte er. »So!«
    Mit der Spitze seiner Fingernägel strich er dem Tier leicht und zärtlich über das Fell. Ich tat es ihm nach. Der Dunkelbraune schien die Berührung zu genießen. Seine Nüstern bebten leise. Nach einer Weile stieß er ein sanftes Schnurren aus. Das Geräusch kam tief aus seiner Brust, wie eine Welle der Zuneigung, die mich liebkosend umfaßte. Das Gefühl war ganz eigenartig. Ich wandte Atan mein erstauntes Gesicht zu und sah, wie er zufrieden nickte.
    »Es ist gut, jetzt kennt er dich.«
    Ich lachte.
    »Mir scheint, du bist ein Zauberer!«
    Atan antwortete nicht sogleich. Seine Augen waren ins Leere gerichtet, als ob er in der Ferne alte Bilder erblickte, Schatten, die in seiner Erinnerung vorbeizogen. Die Sonne war verschwunden, der Himmel war ganz blank und von lockender Leichtigkeit. Auf den hohen Gipfeln begann der unbewegliche Schnee in einem geheimnisvollen Aufwallen zu leben; jeder Hang hatte seine eigene Farbe: purpur der eine, orange, golden, dunkelblau die anderen. Es war ein Augenblick der magischen Farben, bevor die Mondnacht ihren schwarzen Glanz über die Berge senkte. Wir standen alleine bei den Pferden. Birman hatte sich entfernt, um die Ziegen 206
    heimzutreiben. Nach einer Weile brach Atan das Schweigen.
    »Ich habe immer ein Pferd gehabt, ein eigenes.«
    Unsere Blicke trafen sich; Schmerz und Zorn auf seinem Gesicht waren im Helldunkel deutlich erkennbar. Wieder war es, als ob er meine Gedanken fühlen könne. Das bronzefarbene Gesicht wurde ausdruckslos. In gleichmäßigem Ton sprach er weiter. »Meine Mutter setzte mich auf ein Pferd, kaum daß ich auf eigenen Beinen stand. Natürlich wurde ich einige Male abgeworfen. Als ich einmal wieder aus dem Sattel flog, ergriff ich blindwütig einen Stein und zielte auf das Pferd. Das Tier setzte sich augenblicklich zur Wehr: Seine Hufe sausten haarscharf an meinem Schädel vorbei. Shelo war gleich zur Stelle. Es war das erste Mal, daß

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