Die Tiefe einer Seele
ja noch gar nicht erzählt. Auf Spiekeroog?«
Die junge Frau nickte. »Ja, jetzt schon über 30 Jahre lang. Er liebt seinen Beruf sehr. Nur meine Mutter liebt er noch ein kleines bisschen mehr.« Ein sanftes Lächeln legte sich auf ihr Gesicht.
»Hört sich so an, als ob Du eine Menge für Deine Eltern übrig hättest.«
Verwundert sah Amelie ihn an. »Ich liebe sie, natürlich! Sollte das nicht etwas Selbstverständliches sein?«
Schlagartig wurde James wütend, weil ihn ihre Antwort ärgerte. »Wenn das so ist, dann frage ich mich, wie Du ihnen das antun konntest? Hast Du nicht eine Sekunde an sie gedacht, als Du das Messer, die Rasierklinge oder was auch immer gegen Dich geführt hast? Was Du ihnen damit zumutest?«
Amelies Gesicht verlor jegliche Farbe. »Es ist verflixt einfach, über einen anderen Menschen zu urteilen, was?«, murmelte sie und konnte nicht verbergen, wie sehr James Worte sie verletzt hatten. »Du kannst mir glauben, ich denke immerzu an meine Eltern, aber in diesen Momenten…, also in dieser Situation war ich zu keiner rationalen Entscheidung mehr fähig. Meine Mutter und mein Vater wissen das, und sie haben mir verziehen. Du hingegen gibst vor, mein Freund sein zu wollen, mir helfen zu wollen, stattdessen klagst Du mich an. Darauf kann ich verzichten, James. Das Leben ist eben nicht für jeden eitel Sonnenschein. Vielleicht kannst Du das nicht verstehen, weil es Dir immer gut ergangen ist.« Eilig sprang sie auf die Füße und strich ihre Bluse glatt. »Ich denke, dass es besser ist, wenn unsere Wege sich trennen. War sowieso eine Schnapsidee, dass ich mit Dir nach Berlin fahre. Werde gleich mal schauen, wie ich am besten von hier wegkomme.« Sie drehte sich um und schickte sich an, zu gehen, doch das ließ James nicht zu. Blitzschnell erhob er sich ebenfalls und hielt sie am Ellenbogen fest.
»Nein, Amy, warte!«, stieß er hastig aus und riss sie zu sich herum. »Ich bin ein Dummkopf, verzeih mir bitte! Natürlich steht es mir nicht zu, über Dich zu urteilen, dazu weiß ich ja viel zu wenig über das, was passiert ist. Ich hatte mich nur gefragt, …weißt Du, weil ich auch ein sehr gutes Verhältnis zu meinen Eltern habe, also eigentlich,….und ich könnte nie, …also nichts machen, was sie…., ach verdammt!«
Die Rothaarige entspannte sich unter dem Gestammel des Mannes. »Herrgott, James, kannst Du auch in ganzen Sätzen sprechen?«, fragte sie belustigt nach.
»Das ist nicht witzig, Amelie Johannson. Ich versuche gerade, mich bei Dir zu entschuldigen. Du verunsicherst mich. Total! Auf ganzer Linie. Das ist mir noch nie passiert. Alles, was ich weiß ist, dass ich unbedingt möchte, dass Du mich nach Berlin begleitest. Ich verspreche Dir, dass ich Ruhe geben werde wegen dieser Geschichte. Es geht mich ja auch nichts an. Aber bitte, Amy, komm mit mir und gib unserer Freundschaft eine Chance. Bitte!«
Amelie kniff die Augen zusammen. »Welche Freundschaft?«, fragte sie und an ihrem Tonfall vernahm er, dass sie ihn aufzog. Mal wieder! »Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, mit einem Maulesel oder mit einer Scheißhausfliege befreundet zu sein. Außerdem entwickelst Du Dich für mich immer mehr zu dem besagten quersitzenden Furz, und ich sehe mich schon wieder bei meinem Therapeuten auf der Couch liegen. Aber gut, Du kannst Dich glücklich schätzen, dass mich das Projekt, an dem Du arbeitest, so wahnsinnig interessiert, deswegen werde ich Dir noch eine Chance geben. Und jetzt komm endlich!« Erneut wandte sie sich ab und ging mit großen Schritten zurück zum Auto. James folgte ihr und sah überrascht, dass sie sich auf dem Beifahrersitz niederließ.
»Guck nicht so!«, erklärte sie, als er sich gezwungenermaßen hinters Steuer setzte. »Ich möchte auch noch ein bisschen pennen. Kannst mich ja wecken, wenn wir da sind!« Sie schloss die Augen und kuschelte sich in den Sitz. James schüttelte ungläubig den Kopf, ließ aber dann den Motor an. Er fühlte sich nicht wirklich besser als vor einer halben Stunde. Im Gegenteil, er war nicht nur verwirrt, sondern hatte das Gefühl, Bekanntschaft mit einem Eilzug gemacht zu haben. Körperlich und geistig. Jedes Gespräch mit Amelie Johannson war eine Herausforderung, und am Ende setzte sie ihn immer schachmatt. Schachmatt durch die Dame im Spiel! Wollte er es wirklich, dieses Spiel? Er horchte in sich hinein und die Antwort, die er hörte, ließ ihn zufrieden nicken. Liebevoll schaute er zur Seite und speicherte den
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