Die Tiere in meiner Arche
anzukeifen.
Wie ich zuvor schon sagte, wurde der Frage, welcher Art die Tierkost in einem Zoo sein soll, in der Vergangenheit kaum Beachtung geschenkt. In vielen Zoos herrscht bei der Ausarbeitung der Speisepläne und bei der Art und Weise, wie die Kost angeboten wird, auch heute noch ein absoluter Mangel an Fantasie. Der bedeutendste Durchbruch auf dem Gebiet der Haltung und Zucht tropischer Tiere wurde wohl mit den ernährungswissenschaftlichen Experimenten und Entdeckungen geschafft, die im Zoo von Philadelphia unter Radcliffe gemacht wurden. Seine Entdeckungen waren für die Haltung und die Zucht wilder Tiere von großer Bedeutung.
Bei seiner Arbeit mit den Tieren in Philadelphia bereitete Radcliffe die Tatsache Kopfzerbrechen, daß gewöhnliche Tiere, obwohl sie langlebig waren, sich nicht fortpflanzten. Empfindlichere Tiere fraßen gut, doch die Sterblichkeit unter ihnen war hoch. Nach vielen Untersuchungen entdeckte er, daß der gefütterten Kost, die auf den ersten Blick durchaus angemessen schien, eine Anzahl von Spurenelementen, Mineralien und Vitaminen fehlte. Er führte eine Reihe von Experimenten durch und entwickelte schließlich eine Art Futterpillen (Pellets), die sämtliche Zusatzstoffe enthielten, die die Tiere benötigten. Diese Pellets wurden zusätzlich zur normalen Verpflegung gefüttert. Das Resultat zeigte sich fast augenblicklich; man hatte größere Zuchterfolge, der Gesundheitszustand der Tiere verbesserte sich ganz allgemein und die Lebensdauer erhöhte sich. Diese Pionierarbeit wurde später von Lang und Wackernagel im Basler Zoo weitergeführt. Radcliffes Futterzusätze wurden in ihrem Anwendungsbereich erweitert und vervollkommnet. Die Ergebnisse waren aufsehenerregend. Zu den bedeutendsten Erfolgen gehört wohl, daß es zum erstenmal gelang, Gorillas in Europa zu züchten.
Als die Ergebnisse der Arbeit in Basel veröffentlicht wurden, fanden sie unterschiedliche Aufnahme. Ein bedeutender englischer Zoodirektor bezeichnete es mir gegenüber als »blanken Unsinn, Tiere ausschließlich mit Pillen zu ernähren«, und ein anderer fortschrittlicher und gar nicht engstirniger Zoodirektor meinte, es wäre »absoluter Blödsinn, Tiere mit Vitaminen vollzustopfen, statt ihnen gutes Futter zu geben«. Da ich den größten Teil meines Lebens auf dem Kontinent verbracht habe, fehlt mir bis zu einem gewissen Grad diese blinde Selbstzufriedenheit des Inselbewohners, die den Engländer auszeichnet. Ich überging deshalb einfach die Tatsache, daß dieser ganze neue Prozeß von Ausländern (Amerikanern) entwickelt und von anderen Ausländern (Schweizern) weiterentwickelt und vervollkommnet worden war. Meiner Ansicht nach war diese Zusatznahrung von großer Bedeutung, und der Mühe wert, sich eingehender damit zu befassen. Ich stattete deshalb dem Basler Zoo einen Besuch ab, und was ich dort sah und hörte, beeindruckte mich tief. Mit dem Entschluß, diese neue Art der Ernährung so bald wie möglich auch bei uns einzuführen, kehrte ich nach Jersey zurück.
Wir führten lange Besprechungen mit Mr. Le Marquand, dem Müller des Zoos, da einige Bestandteile nicht leicht zu beschaffen waren und wir geeignete Ersatzstoffe finden mußten. Schließlich aber wurde uns der erste Kuchen, wie wir diese Zusatznahrung nannten, geliefert. Es hatte lange Diskussionen darüber gegeben, ob die Mischung in Form eines Laibs, eines Biskuits oder in irgend einer anderen Form angeboten werden sollte. Am Ende aber einigten wir uns darauf, bei der Methode des Basler Zoo zu bleiben, wo man sich für einen Kuchen entschieden hatte, der in Stücke von etwa zweieinhalb Zentimeter Länge und gut einem Zentimeter Breite aufgeschnitten wurde. Ernst Lang hatte mich bereits gewarnt, daß meine Tiere, wenn sie ähnlich eingestellt waren wie die seinen, sich der Einführung dieses neuen Nahrungsmittels erbittert widersetzen würden. Er erzählte, daß er in vielen Fällen gezwungen gewesen war, das Tier praktisch hungern zu lassen, ehe es sich bereitfand, die neue Substanz auch nur zu kosten. Jetzt jedoch aßen alle Tiere den Kuchen mit Genuß.
Längs Prognose erwies sich als richtig. Unsere Tiere zeigten sich so entsetzt und voller Abscheu wie ein Missionar, dem man Menschenfleisch en casserole angeboten hat. Angesichts solch störrischer Abwehr fragten wir uns, ob unser Kuchen vielleicht anders schmecke als der von Lang. Einige Ingredienzen waren ja nicht die gleichen; war deshalb vielleicht unser erstes Produkt ungenießbar
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