Die Tiere in meiner Arche
keinerlei innere Schäden hatte. Es war eben einfach Pech. Aber ganz unerwartet traf es uns nicht, denn wir hatten schon oft festgestellt, daß die ersten Jungen vieler Tierarten nicht lebensfähig sind. Es ist beinahe so, als wären der Körper eines jungen weiblichen Tieres und sein Mutterinstinkt noch nicht voll entwickelt, wenn es sein erstes Kind bekommt; es scheint, als wäre eine erste Fehlgeburt nötig, um für die Zukunft zu üben. Die Geschichte hatte uns aber zumindest gezeigt, daß Polly fruchtbar war und daß sie einen gewissen Mutterinstinkt besaß; das Junge war nämlich sorgfältig gesäubert, die Nabelschnur durchgetrennt und die Nachgeburt gefressen worden. Bei ihrem zweiten Jungen, das im folgenden Jahr geboren wurde, hatte sie keinerlei Schwierigkeiten mehr und zog es mühelos groß. Wir hoffen, daß sie jetzt, wo sie mit Nachwuchs Erfahrung hat, keine Probleme mehr haben wird.
Als Polly die Dinge einmal ins Rollen gebracht hatte, zogen die anderen Lemuren nach. Die nächste Geburt war die eines Komorenmakis. Auch hier war die erste Geburt eine Totgeburt. Inzwischen jedoch haben wir drei normale Geburten gehabt. Aber vom Umzug der Lemuren in ihr neues Haus bis zum Tag der ersten Geburt vergingen drei Jahre; das zeigt wohl, wieviel Zeit und Geduld aufgewendet werden muß, um ein erfolgreiches Zuchtprogramm aufzubauen. Zeit und Geduld braucht man besonders bei der Aufzucht einer Tierart, die in freier Wildbahn von einem baldigen Untergang bedroht ist.
Die Fortschritte innerhalb des Zuchtprogramms mehren Stufe um Stufe auch die Schwierigkeiten. Hatte man Glück bei der Partnersuche und auch den rechten Moment getroffen, die Tiere — falls sie Einzelgänger sind — zusammenzuführen oder gegebenenfalls entdeckt, wie das männliche Tier zu stimulieren ist (vielleicht mit mehr als einem Weibchen oder auch einem Rivalen), dann kommt der große Augenblick, wo das Weibchen, um das es geht, trächtig wird. Jetzt steht der Züchter vor der schwierigen Frage, ob er die Partner zusammenläßt oder nicht. Entscheidet er sich für das erstere, kann es eine Katastrophe geben; der Vater kann das Junge töten oder die Mutter allein durch seine Gegenwart dazu zwingen, es zu tun; andererseits kann die Anwesenheit beider Elternteile wesentlich sein für das Gedeihen der Nachkommenschaft.
Zwei Probleme, mit denen wir im Fall unserer Primaten zu kämpfen hatten, geben vielleicht eine Vorstellung von den Schwierigkeiten auf dem Heiratsmarkt der Tierwelt. Unter den südamerikanischen Krallenäffchen hat seit beträchtlicher Zeit eine Art Frauenemanzipation um sich gegriffen, ganz unauffällig und mit viel Erfolg. Unmittelbar nach der Geburt — wobei es sich meist um Zwillingsgeburten handelt — reicht das Weibchen die Jungen an den Vater weiter, der sie zu säubern und zu beaufsichtigen hat. Von diesem Moment an spielt das männliche Tier bei der Aufzucht der Jungen eine große Rolle. Regelmäßig nimmt der Vater der Mutter die Kinder ab und schleppt die immer schwerer werdenden Sprößlinge herum.
Um festzustellen, wie wichtig die Rolle des Vaters bei der Aufzucht eigentlich ist, beobachteten wir über eine gewisse Zeitspanne hinweg den Tagesablauf einer Rothandtamarin-Familie mit Zwillingen. Das Ergebnis war faszinierend; es zeigte deutlich, wie die körperliche Arbeit des Herumtragens der Jungen geteilt wurde. Das ist ein sehr wichtiger Faktor; die Jungen kehren nämlich, auch wenn sie mit zunehmender Entwicklung mehr auf eigene Faust herumspazieren, immer wieder zu den Eltern zurück, wenn sie Zuwendung brauchen oder sich aufgeregt haben. In dem beobachteten Fall starb der Vater ganz unerwartet, als die Jungen drei Tage alt waren. Die Mutter mußte nun die beiden Kleinen allein großziehen. Das gelang ihr gut, doch am Ende, als die Jungen halb so groß waren wie sie und gelegentlich immer noch getragen werden wollten, zeigte sich deutlich, wie stark ermüdend und anstrengend das für sie war. Doch sie entzog sich ihrer Aufgabe nicht, und die beiden Jungen wuchsen gesund heran.
Besonders interessant an diesem Fall war, daß damit trotz der Schwierigkeiten, mit denen das Weibchen fertig werden mußte, zum erstenmal Rothandtamarins in Gefangenschaft großgezogen werden konnten. Und es zeigte sich deutlich, daß bei Marmosetten und Tamarins dem männlichen Tier bei der Aufzucht der Jungen eine ungemein wichtige Rolle zufällt, auch wenn das Weibchen, falls es eine gute Mutter ist und die nötige Entschlossenheit
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