Die Time Catcher
Bursche.
Pass auf!, gibt mir Abbie zu verstehen. Die erste Flugscheibe ist unsere.
Ach ja, die Mission. Hätte ich fast vergessen. Doch im Moment kommt mir die Aufgabe, die erste Frisbeescheibe der Welt im Flug zu ergattern, gar nicht mehr so wichtig vor.
»G ehen wir«, sage ich und versuche, meiner Stimme einen festen und entschlossenen Klang zu geben, doch in meinem zeitumnebelten Zustand quellen die Worte wie Watte aus meinem Mund.
Der Brombeeratem lässt mich nicht los. Im Gegenteil, er scheint seinen Griff um meine Schulter sogar noch zu verstärken.
Mit aller Kraft, die ich mobilisieren kann, hebe ich meine rechte Hand und lege sie auf seine.
Für den Bruchteil einer Sekunde bleibt meine Hand dort liegen und weiß nicht recht, was sie als Nächstes tun soll. Aber dann fallen mir all die Jahre ein, in denen ich zum Karatetraining gegangen bin, und mit einer einzigen Bewegung schnellt mein linker Arm einmal vor und zurück. Als mein Ellbogen seinen Solarplexus rammt, klappt er zusammen und ringt nach Luft.
Langsam stehe ich auf, schwanke wie ein Trunkenbold. Sein Freund starrt mich ungläubig an, kommt jedoch nicht näher.
Am Rande meines Blickfelds nehme ich eine rasche Bewegung wahr. Instinktiv hebe ich meine Hand, um mich zu schützen. Doch es ist keine Faust, die mir entgegenfliegt. Es ist eine flache Kuchenform, die durch die Luft segelt. Sie prallt von meinem Arm ab und landet auf dem Kopf des am Boden liegenden Burschen. Ich bücke mich und schnappe mir die Form von seinem Schädel.
Abbie taucht neben mir auf. Sie wirft dem zusammengekrümmten Jungen einen kurzen Blick zu, runzelt die Stirn und sagt: »L ass uns von hier verschwinden, und zwar sofort.«
Ich folge ihr in eine enge Gasse, die sich zwischen der Bäckerei und dem Postamt befindet. In diesem Moment geben die Wolken ihrer Last nach und der Regen prasselt auf uns nieder. Doch ich spüre ihn kaum. Der Zeitnebel hat mich eingesponnen wie ein Kokon, in dem fast all meine Gedanken zu Brei werden und mein Körper die wenigen klaren Signale, die mein Gehirn noch aussendet, verweigert.
Die Regentropfen trommeln rhythmisch auf den Boden. In der Nähe meiner Stiefel bildet sich ein Rinnsal. Ich betrachte die flache Kuchenform in meinen Händen und frage mich, was ich damit anfangen soll.
Ein Stück weit entfernt erblicke ich einen Abfallhaufen. Langsam schlurfe ich darauf zu. Gute Arbeit, Caleb, sagt mir mein Gehirn. Da kein Kuchen mehr in der Form ist, kann man sie jetzt nur noch auf den Müll werfen. Stolz auf meine bestechende Logik, lege ich die Form ganz oben auf den Müllhaufen. Die perfekte Lösung für mein Problem.
Doch irgendwas nagt an mir, ein entstehender Gedanke, der meine perfekte Lösung infrage stellt.
Etwas macht plink, plink. Das Geräusch ist wie Musik. Ich muss herausfinden, woher diese wundervolle Musik kommt.
Da ist sie erneut. Plink. Plink.
Als ich nach links gucke, sehe ich eine Kuchenform, die ganz oben auf einem Abfallhaufen liegt. Von dort kommt die wundervolle Musik. Plink, Plink machen die Regentropfen, wenn sie auf das Metall der Form treffen, die sich langsam mit Wasser füllt.
Ein weiterer Gedanke dringt in mein Bewusstsein. Ich muss auf mein Handgelenk tippen.
Okay, ich werde dem Gedanken Folge leisten. Aber nur, damit ich danach wieder den hübschen Regentropfen zuschauen und der Regenmusik lauschen kann. Ich strecke meine Finger aus und klopfe im Takt der Tropfen auf mein Handgelenk.
In Ordnung. Das war’s. Jetzt kann ich mich erneut der Musik zuwenden. Doch höre ich sie nur noch sehr leise, wie aus weiter Ferne. Vielleicht sollte ich die Kuchenform näher an mich heranziehen. Ja, das ist die Lösung.
Ich strecke die Hand danach aus, und während ich das tue, spüre ich, dass eine Veränderung in mir vorgeht. Mein ganzer Körper scheint zu vibrieren.
Kurz bevor ich entschwinde und das Jahr 1871 endgültig verlasse, schließen sich meine Finger um die Kuchenform, und ich stecke sie unter meine Jacke. Gut. Wohin ich auch gehe, ich werde auf jeden Fall meine Musik dabeihaben.
24. Juni 2061, 12:02 Uhr
Tribeca, New Beijing (früher New York City)
I ch lande in der Gasse neben dem Hauptquartier. Mein ganzer Körper schmerzt, ich habe dröhnende Kopfschmerzen und kann mich nicht bewegen. Ansonsten fühle ich mich großartig.
In einem Versuch, den Kopfschmerz zu lindern, schließe ich die Augen, und schon bald bin ich zumindest in der Lage, mir die Ohren zuzuhalten, damit mir die Verkehrsgeräusche
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