Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter der Dirne

Die Tochter der Dirne

Titel: Die Tochter der Dirne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BLYTHE GIFFORD
Vom Netzwerk:
gewesen sein. Jetzt fühle ich mich ganz gut.“ Sie lächelte breit.
    Er sah sie scharf an, nickte kurz und umfasste ihren Ellenbogen. „Dann kommt.“
    Kurz darauf stand Solay an der Mole in Westminster. Die kalte Wintersonne schmolz den nassen Schnee des vergangenen Tages am Ufer des Flusses, als der Fährmann anlegte.
    Justin hielt sie fest an der Hand, während sie in das Boot stiegen. Den ganzen Morgen hatte er sie nicht aus den Augen gelassen. Der Mann, der gelobt hatte, sie nicht anzurühren, hielt seine Hand an ihrem Rücken oder Ellenbogen, sogar als er in sein Arbeitszimmer ging, um das Dokument zusammenzurollen und zu verschnüren, an dem er am Vortag gearbeitet hatte. Sobald sie im Boot waren, ließ er seine Hand an ihrem Arm ruhen, als wollte er jederzeit zupacken können.
    Vielleicht bedeutete diese Änderung in seinem Verhalten auch, dass er mehr von den Aufträgen sprechen würde, mit denen er beschäftigt war. Sie wagte es nicht, ihn direkt danach zu fragen. Am Tag zuvor hatte das sein Misstrauen erregt. Stattdessen würde sie einfach Unsinn plappern, während sie darüber nachdachte, wie sie das Thema anschneiden könnte.
    „Ihr wolltet wissen, was ich mag“, begann sie. „Ich bin gern auf dem Wasser.“ Als Kind war sie gern mit den Fähren gefahren. Wie hatte sie das vergessen können?
    Statt eines Lächelns entlockten ihre Worte ihm ein Stirnrunzeln. „Warum?“
    „Warum muss es einen Grund geben für das, was ein Mensch mag?“ So wie die Sterne ihr Hoffnung schenkten und die Sonne ihr Mut verlieh, so schien das Wasser ihr Frieden zu geben. Sie lächelte. „Mögt Ihr das Wasser nicht?“
    „Nein.“
    Sie fragte nicht nach dem Grund, da sie ahnte, dass es ein schmerzliches Thema für ihn war. Vielleicht war er nicht seefest. „Eine Reise zu Wasser ist so viel leichter als über Land. Und man kann die schöne Aussicht genießen.“ Als sie um die Flussbiegung fuhren, erstreckte sich London vor ihren Augen, so wie damals, als sie ein Kind war und zum Haus ihrer Mutter reiste. „Ich habe die Fahrt von Westminster zu unserem Haus in London immer geliebt.“
    „Mir sagtet Ihr, Ihr hättet in Windsor gelebt.“
    Sie unterdrückte ihren Unmut wegen seiner Anspielung, sie könnte gelogen haben. „Wir lebten da, wo der König lebte, aber Mutter besaß ein Haus in London.“ Wenn der Hof sich in Westminster oder im Tower aufhielt, wurden Jane und sie zu dem Haus am Fluss gebracht. Seit Jahren hatte sie nicht mehr daran gedacht, aber jetzt erinnerte sie sich an das Plätschern des Flusses, das sie in den Schlaf gesungen hatte.
    „Wo stand das Haus?“
    „In der Nähe der Cannon Street.“ Sie stützte die Arme auf den Rand des Bootes und spähte voraus.„Da! Wir können es beinahe sehen!“
    In der Hoffnung, einen Blick darauf erhaschen zu können, beugte sie sich vor.
    Er packte sie so heftig, dass sie beinahe nach vorn gefallen wäre. Das Boot schaukelte, und der Fährmann rief ihnen zu, sie sollten sitzen bleiben und sich in der Mitte halten.
    Sein Griff presste ihr die Luft aus den Lungen, als er sie auf seinen Schoß zog, seine Arme fühlten sich an wie eiserne Ketten.
    „Was macht Ihr da?“, fuhr er sie an. „Beinahe wärt Ihr ins Wasser gefallen!“
    Sie rang nach Luft und roch seinen Duft, wie frisches Holz, vermischt mit der kalten Luft und dem Geruch des Wassers.
    „Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie über Bord gefallen“, sagte sie, als sie wieder zu Atem gekommen war. „Ich versuchte nur, unser altes Haus zu sehen.“
    Aber er hielt sie fest, bis das Boot am Stadttor anlegte und Justin sein Schwert dem Torwächter gab.
    Am Flussrand lebte gewöhnlich der raue Teil der Gesellschaft, doch hinter diesem Tor betraten sie eine geschützte Straße, die von verschneiten Gärten umgeben war. Statt Seeleuten und Straßendirnen war die Straße voll von gebildeten Männern, die miteinander sprachen, manche begleitet von Dienern.
    „Das ist nicht das London, an das ich mich erinnere“, meinte sie. „Wo sind wir hier?“
    Sein Lächeln kam von Herzen. „Möglicherweise werden die Gesetze in Westminster gemacht, aber die Männer des Gesetzes kommen aus dem Middle Temple.“
    Sie sah sich wieder um und machte sich auf Hörner und Bocksfüße gefasst.
    Ohne ihre Fragen abzuwarten, fuhr er fort: „Wir essen, schlafen, studieren, diskutieren, arbeiten und wohnen hier. Es ist Universität, Zuhause und Arbeitsplatz.“ Seine Stimme klang feierlich. „Hier sprechen wir über die

Weitere Kostenlose Bücher