Die Tochter der Dirne
zurückgelassen hatte.
Sie zuckte die Achseln und mied seinen Blick. „Ich weiß nicht“, log sie. „Ich danke Euch, dass Ihr mich nach London mitgenommen habt“, sagte sie dann und schmiegte sich tiefer in ihren Umhang. „Ich habe so viel über Eure Arbeit erfahren, und es interessiert mich so sehr. Diese Vorladung zum Beispiel. Wessen Name steht darauf?“
Plötzlich kannte Justin den Grund für ihren Besuch, für das Interesse der „zukünftigen Gemahlin“ an seiner Person und die endlosen Fragen zu seiner Arbeit. Welch ein Narr war er doch gewesen, sich von rührseligen Geschichten über verlorene Papageien und Häuser am Fluss täuschen zu lassen. „Sagt dem König, er wird es bald genug erfahren, Lady Solay.“
Sie sah ihn an mit großen, unschuldigen Augen. „Was meint Ihr damit?“
Er ignorierte den Schmerz in seinem Innern. Was war seiner ehrlichen Zunge entschlüpft, das der König noch nicht wissen durfte? Alles nur, weil er für einen Augenblick gedacht hatte, dass ihr Interesse an der Arbeit des Gesetzes ehrlich war.
„Ihr seid nicht um des Vergnügens meiner Gesellschaft willen durch den Schnee hierhergereist.“ Zorn loderte in ihm, dass sie es zuließ, sich so missbrauchen zu lassen. Dass er sich so missbrauchen ließ. „Ihr seid hier wegen der Angelegenheiten des Königs, nicht wegen Eurer eigenen.“
„Das stimmt nicht“, sagte sie. „Ich bin gekommen, um Euch von der Reise des Königs zu erzählen und um mit Euch gemeinsam dafür zu sorgen, dass Ihrmit ihm gehen könnt. Warum zweifelt Ihr an mir?“
„Weil die Wünsche des Königs Euer Leben regieren, nicht Eure eigenen. Und ganz gewiss nicht meine.“
Sie sah ihn an, mit ruhigem Blick, obwohl der Wind ihr dunkles Haar nach hinten wehte. „Die Wünsche des Königs regieren unser aller Leben.“
„Meines nicht.“
Da lächelte sie, ein sehr weibliches Lächeln. Eines von der Art, die sagen: Ich weiß etwas, was Ihr niemals wissen werdet. „Doch, am Ende auch das Eure.“ Sie zog ihren Umhang fester und machte kehrt, um ins Haus zu gehen.
Er wollte widersprechen, doch als Gloucester zu ihm herauskam, begriff er, dass an jedem Tag, an dem er daran arbeitete, die Macht des Königs zu beschränken, auch sein Leben sich um Richard drehte.
Gloucester kam zu ihm und blickte über seine Schulter zurück zu Solay. „Eine seltsame Wahl, die Ihr da für Eure Gemahlin getroffen habt, Lamont. Ist sie so gut, wie es ihre Mutter war?“
Er dachte an den Anblick ihrer Haut im Schein des Feuers, dann wieder an die dunklen Schatten in ihren Augen. Sie spionierte für den König und dennoch verführte ihn ihr Lächeln. „Sie ist noch nicht meine Gemahlin.“
Gloucester hob die Brauen, ließ die Erklärung aber so stehen. „Wo ist das Dokument?“
„Es wird geprüft. Wir haben nur diese eine Chance. Fehler können wir uns nicht erlauben.“ Niemand hatte je versucht, einen Duke vor ein Gericht zu bringen. Ein Richter, selbst ein mutiger, brauchte unumstößliche Beweise.
„Eure endlosen Details kosten uns wertvolle Zeit.“
„Mir ist die Dringlichkeit bewusst“, fuhr Justin ihn an. „Es geht das Gerücht, dass der König bald Windsor verlassen wird.“
„Was? Woher wisst Ihr das?“
„Lady Solay sagte es mir. Wenn wir Hibernia nicht vorher erwischen, würde das Dokument nutzlos sein.“
„Dann holen wir ihn. Jetzt.“
„Ohne Grund werden die anderen Lords niemals gegen einen der ihren antreten.“
„Er ist keiner von uns. Er ist ein Aufsteiger, den der König über seinen Rang erhöht hat.“
„Er ist ein Duke. Ihn ohne Grund festzunehmen, würde einen Präzedenzfall schaffen. Ihr könntet der Nächste sein.“
Als sie das Schloss betraten, schlug Gloucester ihn mit den Handschuhen gegen den Ärmel. „Setzt alle rechtlichen Tricks ein, die Ihr kennt, aber schafft ihn aus dem Weg. Wir müssen die Kontrolle bewahren und im Frühling den Krieg gegen Frankreich erneut entfachen.“
Justin hoffte, dass aus diesen Worten nur das leicht erregbare Temperament dieses Mannes sprach. „Das Parlament hat uns beauftragt, bei internen Skandalen zu ermitteln. Der Krieg bleibt ein Vorrecht des Königs.“
„Ich werde nicht müßig dasitzen, während Richard Land verliert, das meine Familie jahrhundertelang besessen hat.“
„Sein Benehmen ist für uns keine Entschuldigung, unsere Befugnisse zu überschreiten.“
Gloucester gelang es, ebenso bedrohlich zu wirken wie sein Neffe. „Diskutiert nicht mit mir über das Gesetz.
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