Die Tochter Der Goldzeit
Ausgang aus dem Höhlenlabyrinth.
Sie hielten sämtliche Zugänge besetzt, sie suchten ihn innerhalb und außerhalb des Höhlensystems. Tagelang hielt er sich vor ihnen versteckt. Sie schickten kleine graue Kolks und Käuzchen mit scharfen Krallen, die im Dunkeln sehen konnten. Sogar ein Habicht versuchte ihn anzugreifen. Bosco sprach leise mit den Vögeln und schickte sie alle fort.
Manchmal hörte er die Stimmen seiner Verfolger: »Stell dich, Bosco! Führe uns nach Tikanum und du wirst leben!« Manchmal riefen es die Wildsaujäger und Fischer aus Chiklyo, manchmal Männerstimmen mit fremdem, weichem Akzent, manchmal der Eisenriese selbst.
Nach vier Tagen stand Bosco wieder im Grottenausgang über dem tosenden Meer. Es brüllte wie ein hungriges Tier. Doch eine andere Wahl blieb ihm nicht. Draußen auf der See glitt ein Ruderboot vorbei. Bosco sah einen Rotmantel, sah flatterndes Langhaar. Er spähte durch sein Binocular: Krieger des schwarzen Eisenriesen ruderten das Boot. Mitten unten ihnen eine Frau - das Mädchen!
Er stöhnte auf. Was geschah hier? Die Angst packte ihn. Er lief zurück ins Höhlensystem. So sehr brannten sie darauf, Tikanum zu finden, dass sie sogar das Mädchen holten, um ihn erpressen zu können? Bosco mochte es nicht glauben, er lief und lief und lief.
Unter einem Schacht hörte er schließlich eine Männerstimme rufen. Kein Inselbarbar und kein Küstenbewohner - die Stimme sprach den Südlanddialekt mit weichem, gedehntem Akzent. Sie gehörte dem Rotmantel, der am Tag nach der Einnahme von Chiklyo aus den Sprüchen Dashirins gelesen hatte.
»Wir mussten die Tochter des Cabullos zum Tode verurteilen!«, rief die Stimme. »Leider! Sie hat geleugnet, einen aus Tikanum zu kennen, als wir sie fragten. Dabei ist sie deine Frau!«
Bosco lauschte atemlos.
»Sie hat einen Subkommander belogen, also muss sie sterben. Es sei denn, du kommst freiwillig zu uns heraus!«
Bosco stammelte den Namen des Mädchens, während er durch die Schächte taumelte. Von einem Ausgang in der Mitte der Felswand sah er in die zerstörte Festung hinab. Ihre Mauer war eingerissen, viele Häuser zerstört. Vierzig Meter unter ihm stand, an einen Pfahl gebunden, das Mädchen auf einem Holzstoß. Daneben Männer mit brennenden Fackeln. »Komm herunter, und sie ist frei und wird leben!«, dröhnte der Bass des Eisernen. »Komm herunter, und alles wird gut!«
Bosco glaubte, die Lippen des Mädchens zu schmecken, seinen Duft einzuatmen. Wenn jemand verdient hatte zu leben, dann dieses Mädchen! Er wusste, dass sie ihn foltern würden, und stieg dennoch auf die Leiter, die aus der Felswand in die Festung hinabführte. Das Bild seiner Geliebten füllte sein Hirn aus - ihr Duft, ihr Blick, ihre schönen Züge. Sie musste leben, sie musste ...
Ein anderes Gesicht leuchtete plötzlich vor seinem inneren Auge auf - das Gesicht der Meisterin. Er hielt an. Unter Tränen murmelte er ihren Namen: »Tarsina ...« Sie hatte die Stelle seiner Mutter eingenommen nach deren Tod. »Tarsina!« Er schrie ihren Namen heraus. Auch sie würde man quälen; so lange, bis sie den Weg zur Lichterburg verriet oder die Namen von Menschen, die ihn kannten. Er blickte hinauf.
»Weiter, Bosco!«, tönte tief unter ihm die Stimme des Eisenmannes. Der wollte ihn lebend, sonst hätte er ihn längst mit seinen magischen Kräften in die Tiefe gerissen. »Steig herunter und rette deine Liebste!«
Wie erstarrt hing Bosco in der Leiter. Er dachte an seine Sozietät, an seine Meisterin, an seinen Vater, an seine jüngere Schwester.
»Komm zu mir, und alles wird gut!«, tönte es von unten.
Sie würden leiden, alle, sie würden sterben - sie oder das Mädchen.
Bosco stieß einen Schrei aus, kletterte wieder hinauf. Er griff nach den verrosteten Griffbügeln oberhalb der Leiter, zog sich hoch, wollte ins Dunkle des Höhlengangs stürzen - und lag von einem Wimpernschlag auf den anderen am Boden. Es war, als hätte die Hand eines Titanen ihn von hinten niedergeschlagen. Und jetzt packte dieselbe Hand ihn und zerrte ihn zurück zur Leiter, zurück an den Abgrund.
»Soll denn deine Liebste brennen, du närrischer Fleischsack?«, dröhnte es von unten. »Soll denn nicht alles gut werden?«
Sprosse um Sprosse rutschte Bosco die Leiter hinab, umklammerte die Holme, versuchte sich festzuhalten - doch die unsichtbare Titanenhand zog derart kraftvoll an ihm, dass seine Finger abzugleiten drohten. Er blickte nach unten - vor dem Scheiterhaufen mit dem
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