Die Tochter der Suendenheilerin
Sachmet nach Sankt Michaelis. Aber du verstehst, dass wir dort nicht bleiben konnten.«
»Wer weiß? Vielleicht hätte es die ehrwürdigen Schwestern gefreut, so stattliche Männer beherbergen zu dürfen.«
»Ich wusste gar nicht, dass man im geistlichen Stand derartige Zweideutigkeiten pflegen darf.«
»Darf man auch nicht. Ich werde dafür Buße tun.« Lukas grinste breit, und für einen Augenblick war die alte Vertrautheit wieder zu spüren.
»Also, was hat es nun mit Hugo vom Waldsee auf sich?«, verlangte Stephan zu wissen. »Wieso erzählen sich alle, er sei so streng?«
Lukas sah sich kurz um.
»Das hat mit den unterschiedlichen Seiten zu tun. Unser Abt, Vater Melchior, hat derzeit einige Schwierigkeiten mit dem Bischof von Halberstadt. Es gibt hier in Sankt Andreas Kräfte, die das für ihr eigenes Fortkommen nutzen wollen.«
»Welcher Art sind die Schwierigkeiten mit dem Bischof?«
»Sie könnten an den Fundamenten des Friedens rütteln.«
»Ich verstehe nicht ganz …«
»Manchmal entscheiden Bischöfe über Könige.«
»Über Könige?«
Lukas nickte. »Auf welcher Seite steht Graf Philip?«
»Wie meinst du das? Um welche Seiten geht es?«
»Wilhelm von Holland oder Manfred von Sizilien?«
»Ich verstehe immer noch nicht … Wilhelm von Holland ist unser König, aber wer ist Manfred von Sizilien?«
»Ein Bastardsohn von Kaiser Friedrich dem Zweiten, der ebenfalls Anspruch auf den Thron erhebt.«
»Ein Bastard kann keinen Anspruch auf das väterliche Erbe erheben!«
»Es heißt, der alte Kaiser habe Manfred durch die Heirat mit seiner Mutter auf deren Sterbebett legitimiert«, widersprach Lukas. »Zudem ist die Abkunft eines Mannes bedeutungslos, wenn ihm eine Streitmacht untersteht, die seine Ansprüche notfalls mit Gewalt durchzusetzen vermag.«
»Aber was hat das mit Hugo vom Waldsee zu tun?«
»Früher warst du nicht so schwer von Begriff.« Lukas seufzte. »Nun ja, woher sollst du es auch wissen? Nun, Bischof Ludolf wurde nicht vom Papst als Bischof von Halberstadt bestätigt. Er hat sich darüber hinweggesetzt, denn Rom ist weit. Aber um seine Macht zu halten, muss er sich einflussreiche Verbündete schaffen. Deshalb unterstützt er Manfred von Sizilien mit Geldern der Kirche bei seinem Kampf gegen den rechtmäßigen König.«
Stephan erstarrte. »Das wäre Hochverrat!«
Lukas nickte. »So ist es. Die Schwierigkeit besteht darin, dass wir die Beweise für diesen Verrat zwar besitzen, sie aber nicht fortschaffen können. Selbst in Sankt Andreas gibt es Anhänger des Bischofs, die ihm alles zutragen. Und so müssen wir nach außen hin Ergebenheit zeigen. Noch ahnen unsere Gegner nicht, dass unser Abt Dokumente besitzt, die das Verbrechen des Bischofs beweisen. Wenn sie es wüssten, gäbe es Sankt Andreas nicht mehr in der Form wie heute. Und auch Sankt Michaelis nicht.«
Stephan horchte auf. »Was hat das Nonnenkloster damit zu schaffen?«
»Die hochehrwürdige Äbtissin Clara von Askanien ist eine sehr gebildete Frau. Der frühere Bischof von Halberstadt war ihr Onkel. Sie hat deshalb noch immer Vertraute in der Bischofsburg, die sie mit Nachrichten versorgen. Diese wiederum übermittelt sie unserem Abt Melchior.«
Stephan starrte seinen Bruder fassungslos an. Mit allem hatte er gerechnet, aber nicht damit, in ein klerikales Spiel um Hochverrat verwickelt zu werden.
»Und Hugo vom Waldsee?«
»Ist ein gutmütiger, freundlicher Bruder. Wegen eines Magenleidens, das ihm das finstere Aussehen und den hageren Leib bescherte, fiel ihm die Aufgabe zu, nach außen den strengen, asketischen Glaubensmann darzustellen, den der Bischof sich wünscht. Du weißt doch, was man sich über uns erzählt.« Lukas lachte und rieb sich den feisten Bauch.
»O ja. Die Mönche von Sankt Andreas sind den Genüssen der Tafel eher zugeneigt als der Askese.«
»Hätte Gott den Menschen als höchstes Ziel den Hunger zugedacht, gäbe es dann fette Gänse, Fasane, Rebhühner, Täubchen, Schweine und Ochsen? Oder marinierten Fisch? Ganz zu schweigen von …«
»Hör auf, ich bekomme Hunger von deinem Geschwätz!«
»Dem können wir abhelfen«, versprach Lukas. »Komm! Ich sorge dafür, dass auch dir Gottes leiblicher Segen teilhaftig wird.«
»Und was ist mit der anderen Geschichte, die du mir erzählt hast?«
»Ich weiß, dass du Stillschweigen bewahren kannst, Stephan. Noch heute spreche ich mit Vater Melchior. Dann müssen wir entscheiden, ob es an der Zeit ist, unser Wissen nicht länger zu
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