Die Tochter der Tryll Bd. 3 - Vereint
noch schrecklicher, als Willa angedeutet hatte.
Elora malte so gut, dass es wie eine Fotografie wirkte. Alle Details waren sorgfältig ausgearbeitet. Das Bild zeigte die Eingangshalle des Palastes. Die Freitreppe war in sich zusammengestürzt. Der Kronleuchter, der sonst an der Decke hing, war zu Boden gefallen und vollkommen zerstört. Auf dem oberen Treppenabsatz brannte ein kleines Feuer und der goldene Stuck hatte sich von den Wänden gelöst.
Überall lagen Leichen herum. Einige erkannte ich nicht, andere waren mir entsetzlich vertraut. Willa war auf der zerstörten Treppe zusammengesackt, ihr Kopf in einem unnatürlichen Winkel verdreht. Ihr Genick musste gebrochen sein. Duncan war von dem herabgestürzten Kronleuchter erschlagen worden, sein Körper war von Scherben übersät. Tove lag in einer Blutlache. Finns verkrümmter Körper befand sich zwischen den Trümmern der Treppe. Knochen ragten aus seiner Haut. Loki hing von einem Schwert aufgespießt an der Wand wie ein Insekt in der Sammlung eines Entomologen.
Ich lag tot zu Füßen eines Mannes, die zerbrochene Krone war mir vom Kopf gerollt. Ich war nach meiner Krönung gestorben. Ich war Königin gewesen.
Auf dem Bild drehte der Mann dem Betrachter den Rücken zu, aber sein langes, dunkles Haar und das schwarze Samtjackett waren unverkennbar – es war Oren, mein Vater. Er war in den Palast eingedrungen und hatte dieses Massaker verübt. Auf dem Bild, das Elora gemalt hatte, lagen mindestens zwanzig Leichen.
Wir würden alle sterben.
»W ann hast du das gemalt?«, fragte ich Elora, als ich wieder sprechen konnte.
Sie saß in einem Sessel vor dem Fenster und betrachtete die Schneeflocken, die auf die Kiefern fielen. Die Haut ihrer Hände, die sie im Schoß gefaltet hatte, war grau und faltig. Sie lag im Sterben und dieses Bild hatte ihr wahrscheinlich die letzte Lebenskraft geraubt.
»G estern Abend, als ihr in Oslinna wart«, sagte Elora. »I ch war mir nicht sicher, ob ich es überhaupt jemandem zeigen sollte. Ich wollte keine unnötige Panik auslösen, aber Garrett war der Ansicht, ihr solltet davon erfahren.«
»V ielleicht lässt es sich irgendwie abwenden«, sagte Garrett, und ich warf ihm einen Blick zu. Sein Gesicht war angespannt und besorgt. Auch seine Tochter war auf dem Bild als Leiche zu sehen.
»W ie sollen wir das abwenden?«, fragte Laris mit schriller Stimme. »E s ist die Zukunft!«
»M an kann die Zukunft nicht verhindern«, sagte Tove. »A ber man kann sie ändern.« Er blickte mich fragend an. »S timmt’s?«
»J a.« Ich nickte. » Elora hat gesagt, die Zukunft sei formbar, und nicht jede Szene, die sie malt, muss genau so eintreffen.«
»A ber sie könnte eintreffen«, warf Aurora ein. »D er Weg, den wir eingeschlagen haben, wird uns zu diesem Ereignis führen. Der König der Vittra wird den Palast zerstören und Förening einnehmen.«
»D as wissen wir doch gar nicht«, sagte Willa in dem vergeblichen Versuch, zu helfen. »D as Bild zeigt nur, dass einige von uns sterben werden.«
»E in schöner Trost, Marksinna«, sagte Laris sarkastisch, und Tove warf ihr einen strengen Blick zu.
»A urora hat uns gerade den entscheidenden Hinweis gegeben«, sagte ich. »W ir müssen nur unseren Kurs ändern.«
»U nd woher sollen wir wissen, ob wir den richtigen Kurs setzen?«, fragte Laris. »V ielleicht werden gerade unsere Bemühungen, diese Szene zu verhindern, dazu führen, dass sie eintrifft.«
»W ir können nicht untätig herumsitzen.« Ich wendete mich von dem Bild ab, weil ich den Anblick meiner toten Freunde nicht mehr ertrug, und lehnte mich an den Tisch. Verzweifelt vergrub ich die Hände in meinem Haar. Ich musste einen Weg finden, die Zukunft zu verändern und dieses Blutbad zu verhindern. Ich durfte das nicht geschehen lassen.
»W ir müssen ein Element entfernen«, sagte ich laut nachdenkend. »W ir müssen etwas in dem Gemälde verändern. Etwas herausnehmen. Dann wissen wir, dass wir die Zukunft verändert haben.«
»U nd was?«, fragte Willa. »S ollen wir die Treppe rausreißen?«
»D as kann ich jetzt gleich machen«, erbot sich Tove.
»W ir brauchen die Treppe«, sagte Aurora. »O hne sie kommen wir nicht in den ersten Stock.«
»W as wir nicht brauchen, ist die Prinzessin«, murmelte Laris halblaut.
»M arksinna, ich habe Sie gewarnt …«, begann Tove, aber ich unterbrach ihn.
»W arte.« Ich richtete mich auf. »S ie hat recht.«
»W omit?«, fragte Willa verwirrt.
»W enn wir die Prinzessin
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