Die Tochter der Tryll Verborgen Band 1
Finn immer noch nicht seinen Platz ein paar Reihen hinter mir eingenommen hatte, bildete sich ein Knoten in meinem Magen. Ich hielt den ganzen Tag lang nach ihm Ausschau und erwartete beinahe, ihn in irgendeiner Ecke herumlungern zu sehen. Aber er tauchte nicht auf.
Vom Unterricht bekam ich an diesem Tag so gut wie gar nichts mit, und ich war unglaublich frustriert, als ich zu Matts Auto lief. Ich hatte mir von heute so viel versprochen, nahm aber nur noch mehr Fragen mit nach Hause.
Matt bemerkte meine schlechte Laune und fragte mich, was los sei, aber ich winkte nur ab. Er machte sich seit meinem Ballbesuch Sorgen um mich, aber ich schaffte es einfach nicht, ihm eine sonnige Stimmung vorzugaukeln.
Finns Abwesenheit schmerzte mich. Warum war ich nicht mit ihm gegangen? Ich fühlte mich sehr zu ihm hingezogen und nicht nur körperlich. Normalerweise interessierten mich andere Leute nicht, er aber schon.
Er hatte mir ein Leben versprochen, in das ich passte, in dem ich etwas Besonderes war, und vor allem eines, das ich mit ihm teilen würde. Warum wollte ich also hierbleiben?
Weil ich noch nicht davon überzeugt war, dass ich böse war. Ich war noch nicht bereit, all das Gute in mir aufzugeben, für das ich so hart gekämpft hatte.
Es gab nur einen Menschen, der mich immer durchschaut hatte und genau wusste, was ich war. Sie würde mir sagen können, ob in mir etwas Gutes steckte oder ob ich einfach nachgeben, die Fahnen strecken und mit Finn abhauen sollte.
»H e, Matt?« Ich starrte auf meine Hände. »H ast du heute Nachmittag schon etwas vor?«
»I ch glaube nicht«, sagte Matt zögernd, als er in unsere Straße einbog. »W arum? Brauchst du mich?«
»I ch habe mir gedacht… ich würde gerne unsere Mutter besuchen.«
»A uf keinen Fall!« Matt warf mir einen entsetzten Blick zu. »W arum das denn? Kommt nicht infrage. Niemals, Wendy. Das ist geradezu pervers.«
Er blickte mich erneut an, und in diesem Augenblick schaute ich ihm fest in die Augen und wiederholte im Stillen immer wieder: Ich will meine Mutter sehen. Fahr mich zu ihr. Bitte. Ich will sie sehen. Sein Gesichtsausdruck blieb hart, wurde aber nach und nach weicher.
»I ch fahre dich zu unserer Mutter.« Matt klang, als rede er im Schlaf.
Ich fühlte mich sofort extrem schuldig. Was ich getan hatte, war manipulativ und grausam. Aber ich hatte ihn schließlich nicht zum Spaß beeinflusst. Ich musste meine Mutter treffen, und das konnte ich nur mit seiner Hilfe tun.
Ich war nervös und mir war schlecht. Matt würde stinkwütend sein, wenn er herausfand, was los war. Ich wusste nicht, wie lange meine Überzeugungskraft wirken würde. Vielleicht schafften wir es nicht einmal bis in die Klinik, in der unsere Mutter lebte, aber ich musste es wenigstens versuchen.
Matt fuhr mich zu der Frau, die ich seit mehr als elf Jahren nicht mehr gesehen hatte.
Auf der langen Fahrt schien Matt ein paarmal zu bemerken, dass er gerade etwas tat, das absolut nicht seinem Willen entsprach. Er schimpfte dann, unsere Mutter sei schrecklich, und fragte sich, warum er sich von mir hatte breitschlagen lassen.
Aber es kam ihm nie in den Sinn, einfach umzukehren. Vielleicht konnte ihm das auch gar nicht in den Sinn kommen.
»S ie ist ein furchtbarer Mensch!«, sagte Matt, als wir die Klinik erreichten.
Ich sah den Kampf, den er hinter seinen angespannten Gesichtszügen und den gequält blickenden blauen Augen mit sich austrug. Seine Hand umklammerte das Lenkrad, aber sein Griff wirkte, als wolle er ihn lösen und könne es nicht.
Ich fühlte mich wieder schuldig, drängte das Gefühl aber beiseite. Ich wollte ihm nicht wehtun, und ihn auf diese Art zu kontrollieren, war scheußlich.
Mein einziger Trost war, dass ich schließlich nichts Kriminelles vorhatte. Ich wollte meine Mutter sehen, und dazu hatte ich jedes Recht. Matt war nur wieder mal ein übereifriger Beschützer.
»S ie kann mir nichts tun«, erinnerte ich ihn zum hundertsten Mal. »S ie ist eingesperrt und bekommt Medikamente. Mir passiert schon nichts.«
»S ie wird schon nicht versuchen, dich zu erwürgen«, gab Matt zu, aber sein Tonfall verriet, dass er die Möglichkeit nicht ganz ausschließen konnte. »S ie ist nur… ein schlechter Mensch. Ich weiß nicht, was du dir von einem Besuch bei ihr versprichst.«
»I ch muss sie einfach sehen«, sagte ich leise und schaute aus dem Fenster.
Ich war noch nie in der Klinik gewesen, und sie sah etwas anders aus als in meiner Vorstellung. Die basierte
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