Die Tochter der Wälder
ließe.
»O nein, das denke ich nicht«, sagte er leise. Sein Blick gefiel mir überhaupt nicht. »Ich glaube nicht, dass mein Neffe das billigen würde – sein kleiner Schützling alleine im Wald? Wo sie so viel zu tragen hat? O nein, das gehört sich nicht. Ich werde dich zumindest nach Hause begleiten. Allein Hughs Miene zu sehen, wird es wert sein.« Er streckte zwei Finger in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus. Innerhalb kurzer Zeit kamen schweigende Männer mit Bogen aus vier verschiedenen Richtungen. Ihre Kleidung war grau, grün und braun, die Farben des Waldlandes.
»Ich gehe zu Fuß weiter mit dieser jungen … Dame«, sagte Lord Richard, und wieder war die Pause zwischen den beiden letzten Worten hervorragend berechnet. »Ihr kommt ebenfalls nach Harrowfield. Nehmt die Pferde und reitet über die Straße. Informiert Lord Hugh, falls ihr ihm begegnet, dass es einen kleinen Unfall gab. Nichts, weshalb er sich Sorgen machen müsste. Ich werde später mit dem Mann sprechen, der diesen Pfeil abgeschossen hat.«
Sie verschwanden, und ich hatte keine andere Wahl, als mich in seiner Gesellschaft auf den Heimweg zu machen. Er bot mir nicht an, mein Bündel zu tragen, obwohl er es interessiert betrachtete.
Es ist seltsam, wie einige Dinge einem klar im Gedächtnis bleiben und andere verblassen. Ich kann mich immer noch an alles erinnern, was Richard an diesem langen Tag auf dem Heimweg sagte. Ich höre immer noch jedes sorgfältig gewählte Wort, jede Nuance seiner sanften Stimme, jede subtile Veränderung des Tonfalls. Ich spürte das Gewicht des kleinen Hundes in meinen Armen und das Blut an meinen Händen und das stachelige Bündel auf meinem Rücken. Ich schaudere, wenn ich mich an die Berührung von Lord Richards Händen an meinen Armen oder an meinen Schultern erinnere, wenn er so tat, als helfe er mir über den unebenen Boden. Ich hasste ihn. Ich verachtete ihn. Aber er war der Onkel des Roten und Lady Annes Bruder. Ich hätte ihm am liebsten in sein heimtückisch lächelndes Gesicht gespuckt. Aber ich biss die Zähne zusammen, starrte geradeaus und ging weiter.
»Ich bin überrascht, dass mein Neffe dich hat alleine gehen lassen«, stellte er fest, als wir zu der Klammündung kamen. »Ich dachte, er wisse seine Investition ein wenig besser zu schützen. Und was für eine Investition du einmal sein wirst, meine Liebe! Erstaunlich, was gutes Essen für die Figur eines Mädchens tun kann.« Ich warf ihm einen scharfen Blick zu und bemerkte, dass er mich von oben bis unten ansah, als versuchte er sich vorzustellen, was unter dem bescheidenen, grobgewebten Kleid war. Mir wurde kalt. »Sehr hübsch, junge Frau.« Ich versuchte nicht zuzuhören, aber es gab keine Möglichkeit ihn auszuschließen.
»Hugh ist wirklich dumm, dich so alleine davongehen zu lassen. Sehr dumm. Ist ihm denn nicht klar, dass jemand das ausnutzen könnte? Unser Hugh ist so vertrauensselig.« Er legte den Arm um meine Schultern und ich zuckte zurück.
»Ah!« murmelte er. »Temperamentvoll! Das ist noch besser. Der Junge hat wirklich Glück. Zweiundzwanzig und immer noch voll lächerlicher Ideale! Ich mache mir wirklich Sorgen um ihn. Wann wird er erwachsen werden? Selbst der junge Simon wusste mehr von der Wirklichkeit. Und dennoch – unser Hugh ist nicht ganz so edel, oder? Ich habe dieses Glitzern in seinen Augen gesehen, als er dich mir vorführte. Er dachte vermutlich, dass seine wildesten Träume wahr geworden sind, als er dich fand. Welcher Mann träumt nicht von einer ungezähmten Irin, biegsam wie ein Aal und unter dieser milchweißen Haut heiß wie Höllenfeuer, mit boshaften grünen Augen und Haar, das ihr wie schwarze Seide über die Schultern fällt? Das war etwas Neues für ihn, wie? Ich habe gehört, er kam mit ein paar Bissspuren zurück. Wie gefällt dir mein Neffe, junge Jenny? Erfüllt er deine Erwartungen?«
Ich konnte mein Erröten nicht aufhalten, die Scham und den Zorn, den seine Worte bewirkten. Warum war ich alleine hierher gekommen? Warum musste ich ihm zuhören? Ich hoffte nur, dass nichts von dem, was er sagte, wahr war. Bitte, es dürfte einfach nicht wahr sein.
»Ah, ich sehe«, sagte er träge. »Wir tun immer noch unschuldig, wie? Oder doch beinahe. Er spart dich auf. Aber wofür? Das kann ich mir nicht denken. Unser Junge mag an der Oberfläche makellos wie Schnee sein, aber darunter ist er ein heißblütiger Mann. Er hat dich vielleicht noch nicht angefasst, aber das wird er
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