Die Tochter der Wanderhure
Als diese hörten, dass Trudi Leute suchte, die sie auf dem Weg zum König beschützen konnten, blickten sich die beiden grinsend an. Ihrer Kleidung und Ausrüstung nach gehörten sie dem ritterlichen Stand an, aber ihr Äußeres verriet, dass sie schon bessere Tage gesehen hatten. Ihre Gewänder waren mehrfach von ungeschickten Händen geflickt worden, und ihre dünngewetzten Börsen hingen so schlaff von ihren Gürteln, dass sie sich gerade noch das Bier in diesem Gasthaus leisten konnten. Sie hatten hier auch nicht übernachtet, sondern waren nur gekommen, weil hier jene Gäste einkehrten, die genug Geld besaßen, um notfalls ein paar notleidende Ritter in ihre Dienste nehmen zu können.
Der Größere von beiden, ein lang aufgeschossener Kerl mit langen, grauen Strümpfen, einem fleckigen Leinenhemd und einem hellgrünen, vorne halb offen stehenden Wams, stieß seinen Kameraden mit dem Ellbogen an. »Wäre das nicht genau das, wonach wir Ausschau gehalten haben?«
Der andere, der eiserne Beinschienen und einen verbeulten Brustpanzer über seiner Kleidung trug, begann zu grinsen. »Das Dämchen werden wir uns ansehen.«
»Ganz meine Meinung!« Der Lange trank aus und stellte den Bierkrug leise auf die Bank. Ungesehen von den beiden schwatzenden Weibern verließen sie die Stube und öffneten die Tür des Raumes, in dem für die besseren Gäste aufgetragen wurde. Darin war aber keine unbegleitete junge Dame zu finden.
Die beiden konnten nicht wissen, dass Trudi in ihre Schlafkammer geflüchtet war, weil ihr Magen beim Anblick der köstlichen Speisen zu knurren begonnen hatte. Die Preise, die in diesem Haus verlangt wurden, waren jedoch zu hoch für ihre Börse, und sie bedauerte, so lange in der Kapelle geweilt zu haben. Damit hatte sie die Gelegenheit vertan, sich auf dem Marktplatz ein paar Bratwürste oder Ähnliches schmecken zu lassen. Am liebsten wäre sie zu einem Metzger gegangen, um sich eine Wurst zu kaufen, doch für eine Jungfer ihres Rangs war es undenkbar, unbegleitet durch die Straßen zu schlendern. Sie wollte schon Uta schicken, doch ihre Magd blieb fürs Erste verschwunden.
Nach einer Weile klopfte Lampert an der Tür und bat, eintreten zu dürfen. »Komm herein! Ich bin weder nackt noch tue ich sonst etwas Ungebührliches!« Trudis Ärger über die Situation entlud sich in bitterem Spott, der mehr ihr selbst galt als jemand anderem. Wie sollte sie ihre Mutter und ihre Geschwister retten, wenn es ihr nicht einmal gelang, sich selbst zu helfen?
Lampert öffnete die Tür, blieb auf der Schwelle stehen und knetete seine Kappe mit den Händen. »Verzeiht, Herrin, aber ich …«
Er schluckte und zögerte, ermannte sich dann aber, sein Anliegen vorzutragen. »Es geht um den Burschen, der bei der Kapelle die Pferde gehalten hat, während wir drinnen waren. Ich weiß, ich hätte selbst draußen bleiben und auf die Tiere aufpassen sollen, aber es hat mich gedrängt, ebenfalls dort zu beten. Jetzt will der Kerl eine Münze zur Belohnung haben, und ich habe doch keine.«
Seine Worte erinnerten Trudi daran, dass sie, seit sie Kibitzstein verlassen hatten, weder ihm noch Uta Lohn gegeben hatte, und sie schämte sich. Rasch zog sie zwei Münzen aus ihrer Börse und steckte sie Lampert zu. »Hier, die eine ist für den freundlichen Jungen, der dir geholfen hat, die andere für dich. Trink einen Becher Wein auf meine Gesundheit.«
»Freundlich würde ich den Kerl nicht nennen. Er hat mich ganzschön angefahren und wollte mir die Pferde nicht zurückgeben, wenn er nicht die Belohnung erhält!« Lampert ärgerte sich, weil er sich dazu hatte hinreißen lassen, die Tiere einem anderen Menschen anzuvertrauen.
»Eine Belohnung habe ich wirklich nicht verdient, denn ich hätte klüger sein müssen«, brummte er, während er Trudi die eine Münze zurückreichte. Er hätte sich zwar gerne einen guten Tropfen schmecken lassen, aber das Bier, das nur einen Bruchteil davon kostete, tat es in seinen Augen auch. Die paar Becher, die er davon trank, konnte er auf die Herrin anschreiben lassen, ohne dass es ins Gewicht fiel.
»Dann nimm das Geld und sieh zu, ob du einen Metzger und einen Bäcker findest, bei denen du etwas Wurst und Brot kaufen kannst. Bringe es aber so zu mir, dass die Herbergsleute es nicht bemerken. Es soll nämlich unser Abendessen sein.«
Damit offenbarte sie, ohne sich dessen bewusst zu sein, wie schlecht es um ihre Finanzen stand. Für so bedrohlich hatte der Bursche die Lage nicht gehalten.
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