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Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Titel: Die Tochter des Hauslehrers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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formelle Einladung, Miss Smallwood. Sie sind uns immer willkommen.«
    »Danke, Henry. Ich werde daran denken.«
    Jane umarmte Emma und stieg dann in die Kutsche. Die wenigen anderen Passagiere nahmen ebenfalls ihre Plätze ein, die Wache kletterte auf den Rücksitz und blies ihr langes Horn, dann zogen die Pferde an. Während die Kutsche langsam die Straße hinunterfuhr, winkte Jane aus dem Fenster. Emma winkte zurück, den Blick von Tränen getrübt.
    Schließlich seufzte sie, drehte sich um und zwang sich zu einem Lächeln. »Gehen wir?«
    Henry bot ihr seine Hand und sie legte ihre hinein. Wenn sie sich nicht irrte, hielt er ihre Hand ein kleines bisschen länger, als nötig war, um ihr in den Wagen zu helfen.

20

    Wenn sich ein Schiffbruch ereignete – und das konnte lediglich einen Steinwurf vom Land entfernt passieren – kamen die Seeleute häufig vor den Augen derer ums Leben, die an Land standen, aber nichts tun konnten, als hilflose Augenzeugen der Tragödie zu werden.
    A. K. Hamilton Jenkin,
Herausgeber, Schilderung von Schiffbrüchen
    Am nächsten Tag, es war ein wunderschöner Junimorgen, beschloss Emma, ihren Vater auf seinem Morgenspaziergang an die Küste zu begleiten und ihm dabei von dem Besuch Tante Janes zu erzählen. Doch als sie hinunterkam, erfuhr sie von Mr Davies, dass sie ihren Vater ganz knapp verpasst hatte; wenn sie sich beeilte, konnte sie ihn vielleicht noch einholen.
    Emma bedankte sich, lief auf den Flur hinaus und wäre beinahe mit Henry Weston zusammengeprallt, der ihr in Reitkleidung entgegenkam.
    »Guten Morgen, Miss Smallwood«, sagte er und nahm seinen Hut ab. »Wohin denn so eilig?«
    »Ich wollte meinen Vater einholen und ihn auf seinem Spaziergang begleiten.«
    Henry öffnete ihr die Tür. »Ich komme mit bis zum Stall.«
    Als sie mit knirschenden Schritten über den Kiesweg gingen, wandte Mr Weston den Kopf und blickte über die Gartenmauer aufs Meer hinaus. Plötzlich blieb er abrupt stehen.
    Emma drehte sich um und folgte seinem Blick. »Was ist denn? Ist etwas passiert?«
    Henry deutete auf den Horizont – einen Horizont, vor dem sich kein hölzerner Glockenturm mehr abhob.
    Er biss die Zähne zusammen. »Entschuldigen Sie mich.« Damit wandte er sich um, ging zum Gartentor und lief über die Landzunge. Emma raffte ihre Röcke und rannte hinter ihm her.
    Atemlos, mit Seitenstechen, holte sie ihn ein; er stand bereits am Turm. Beziehungsweise vor dem, was davon übrig war.
    Auf dem Boden verstreut lagen zersplitterte Pfosten und Querbalken.
    Emma begutachtete den Schaden; sie rang noch nach Atem. »Hat der Wind ihn umgestürzt?«
    Henry versetzte einem der Pfostenstücke einen Fußtritt. »Sehen Sie das? Das sind Kerben von einer Säge. Das war nicht der Wind – es sei denn, es war einer Ihrer ruchlosen Windgötter.«
    Emma schauderte. »Warum sollte jemand so etwas tun? Ist es einfach Vandalismus oder …?«
    Henry schüttelte den Kopf; sein Gesichtsausdruck wirkte hart. »Nein. Hier waren andere Motive am Werk.«
    »Was für Motive?«
    »Die Gier der Strandräuber, würde ich sagen.« Er nahm seinen Hut ab und fuhr sich aufgebracht mit der Hand durchs Haar. »Sie haben doch gehört, was Julian und Rowan gestern gesagt haben.«
    Tiefe Bestürzung überfiel sie angesichts der Tatsache, dass seine Pläne fehlgeschlagen waren und die Arbeit vergebens. »Ja, aber ich kann einfach nicht fassen, dass wirklich jemand etwas dagegen hat, Menschenleben zu retten.«
    »Sie dürfen nicht vergessen, dass die Fracht von havarierten Schiffen Allgemeingut ist, solange es keine Überlebenden gibt. Deshalb sehen manche in dem Versuch, Leben zu retten, einen Raub an den Armen; sie glauben, wir nehmen ihnen, was Gottes Gnade ihnen zugedacht hat.«
    »Können Menschen wirklich so herzlos sein, ob arm oder nicht?«
    Er nahm ein Stück Holz und warf es über die Klippe. »Anscheinend ja.«
    Beim Anblick seiner fest zusammengebissenen Zähne und des Zorns in seinen Augen fragte sie zaghaft: »Was werden Sie jetzt tun?«
    Henry Weston holte tief Luft in dem Versuch, seinen Zorn zu zügeln. »Ich werde es unserem Wachtmeister, Mr Bray, berichten. Allerdings glaube ich nicht, dass er etwas tun kann. Und dann werde ich den Turm wiederaufbauen.«
    Die Nachricht verbreitete sich rasch. Familienmitglieder, Dienstboten und Pächter kamen heraus, um den Schaden zu begutachten, und entfernten sich mit ernsten Gesichtern, wobei sie warnende Worte flüsterten und Dinge wie: »Hab ich's nicht gleich

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