Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)
gerettet.«
»Das war alles, was ich tun konnte.« Sein Mund verzog sich zu einer Grimasse. »Ich hätte mehr tun müssen.«
Sie litt für ihn. »Aber Sie waren noch jung«, sagte sie, »Sie waren doch noch ein Junge.«
»Nein, ich war neunzehn. Ein Mann. Oder jedenfalls hätte ich einer sein sollen.«
»Aber Sie haben doch selbst gesagt, niemand konnte etwas tun. Unter diesen Umständen Ihr Leben zu riskieren …«
»Wir alle müssen sterben, Miss Smallwood«, unterbrach er sie, »aber nicht alle von uns führen ein sinnvolles Leben. Wie viel besser ist es, sich zu opfern, um einen anderen Menschen zu retten, als am sicheren Ufer zu stehen und nichts zu tun, während andere sterben! Damals, in dieser Nacht, habe ich mir geschworen, dass ich, wenn ich jemals wieder in eine solche Lage gerate – und ich wusste, dass es ein nächstes Mal geben würde, weil ich an einem Ort lebe, der für seine Schiffsunglücke berüchtigt ist –, nicht zögern werde zu handeln.«
Emma konnte ihre Augen nicht von seinem Profil lösen, sie war fasziniert und bewegt zugleich von den Gefühlen, die sich darauf abzeichneten. »Gut. Jetzt handeln Sie. Sie haben mich sehr beeindruckt.«
»Miss Smallwood – beeindruckt?« Er warf ihr einen Seitenblick zu; seine grünen Augen leuchteten. »Das ist wahrlich ein historischer Moment.«
Am darauffolgenden Tag war Henry angenehm überrascht, als Miss Smallwood abermals herauskam, um den Fortschritt beim Bau des Wachturms zu beobachten. Rowan und Julian, die den Tag freihatten, weil ihr Lehrer zusammen mit dem Vikar zu einem Vortrag der Royal Geographical Society von Cornwall gegangen war, folgten ihr, sodass von den jungen Leuten auf Ebbington Manor nur Phillip und Lizzie fehlten. Und natürlich Adam. Wie sehr wünschte er sich, dass Lady Weston nachgab und seinem Bruder ein wenig Freiheit zugestand! Er würde nicht aufgeben, bis er sie oder auch seinen Vater von dieser Notwendigkeit überzeugt hatte.
Zunächst musste er sich jedoch mit dem Fortschritt des Baus zufriedengeben. Die Treppe, die Stützen und die Aussichtsplattform waren fertig; im Moment arbeitete der Zimmermann am Geländer.
»Guten Morgen, Mr Weston«, grüßte Emma Henry. »Wie geht es voran?«
»Sehr gut, danke. Ich habe die Glocke bei einer nahe gelegenen Gießerei bestellt, aber sie ist noch nicht fertig. Ansonsten sind wir in der Zeit und müssten Ende der Woche fertig sein.«
Sie lächelte ihn an. »Ausgezeichnet.«
Ihr Lob schmeichelte ihm und ihr Lächeln bewirkte seltsame Dinge in seinem Herzen.
Neben ihr standen seine Halbbrüder und blickten abfällig zum Glockenturm hinauf.
»Ich finde, es sieht aus wie eine Guillotine«, sagte Rowan.
Julian fügte hinzu: »Oder ein Galgen.«
So viel zum Lob. Dennoch musste Henry zugeben, dass sie nicht ganz unrecht hatten – es gab einige Parallelen. Das Bauwerk war gewissermaßen rudimentär: ein Turm aus einem hölzernen Gerüst, mit einer Leiter, die auf eine Plattform drei Meter über dem Boden führte.
Sobald die Glocke eintraf, würde er sie in einem Gestell auf die Plattform schaffen. Henry deutete hinauf und erklärte, wo die Glocke befestigt und wie sie geläutet werden sollte.
Rowan fragte: »Warum kann man das Seil denn nicht von hier unten aus ziehen?«
Darüber hatte Henry sich durchaus Gedanken gemacht. Er entgegnete: »Ich möchte, dass derjenige, der oben steht und Ausschau hält, auch gleich die Glocke läuten kann. Aber vielleicht lasse ich auch noch eine Öffnung für ein Seil nach unten, damit sie sowohl von oben als auch von unten aus bedient werden kann. Eine gute Idee, Rowan.«
Rowan hob die Hände wie zur Verteidigung, als hätte man ihm ein Unrecht vorgeworfen. »War nicht meine Idee.«
»Mach das Seil aber nicht zu lang«, sagte Julian dunkel, »oder du wirst uns alle damit hängen.«
Henry fuhr förmlich zurück. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Miss Smallwood die Stirn runzelte. Er fragte: »Was meinst du damit?«
Julian zuckte die Achseln. »Du weißt doch, dass es Leute gibt, die deiner Idee nicht gerade freundlich gegenüberstehen.«
»Strandräuber, meinst du?«
»Viele unserer Nachbarn betrachten die Fracht havarierter Schiffe als ihr Eigentum.«
»Das weiß ich, aber Menschenleben sind wichtiger.«
Julian schnaubte. »Hängt davon ab, wessen Leben, würde ich sagen.«
In Henry stieg Zorn auf; er fuhr ihn an: »Was soll das? In Gottes Augen ist jedes Leben gleich wichtig.«
»So kann man es sehen«, sagte Julian. »Ich
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