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Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Titel: Die Tochter des Hauslehrers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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auf der Vorderbank saß Mrs Prowse. Einige andere Diener – die, die diesen Sonntag an der Reihe waren, den Gottesdienst zu besuchen, benutzten einen von dem Pferdeknecht gefahrenen Wagen.
    Während der Einspänner vor sich hinrumpelte, sprachen der Verwalter und die Haushälterin nur leise miteinander, sodass Emma und ihr Vater in Ruhe die Landschaft betrachten konnten.
    Fünfzehn oder zwanzig Minuten später erreichten sie Stratton und gleich darauf St. Andrews, eine beeindruckende graue Steinkirche mit einem mächtigen Glockenturm. Sie stiegen aus, überquerten den Friedhof mit seinen alten Grabsteinen und Tupfen leuchtend gelber Narzissen, und betraten das dämmerige, hallende Innere der Kirche. Emma und ihr Vater setzten sich ein paar Reihen hinter der Familie Weston in die erste leere Kirchenbank. Nach und nach füllten sich die Reihen. Im Licht der Kerzen und dem sanften Tageslicht, das durch die Buntglasfenster fiel, beobachtete Emma die Gemeindeglieder. Eine recht große Gemeinde, dachte sie, mit plappernden Kindern, zur Ruhe mahnenden Müttern und still vor sich hin starrenden alten Männern. Gut Gekleidete und weniger gut Gekleidete. Die Hüte setzte man in der Kirche ab, doch die Mäntel, an denen der Geruch von Talg, Torf und Fisch haftete, behielt man an.
    Lizzie, fiel Emma auf, war offenbar ganz in Gedanken versunken, denn sie beteiligte sich nicht wie die anderen am Gottesdienst. Emma erinnerte sich an die Gottesdienste, die sie zusammen mit den Schülern ihres Vaters in Longstaple besucht hatte. Wie oft hatte sie damals zu dem halbwüchsigen Henry Weston hinübergesehen, der weder sang noch betete noch in anderer Form aktiv am Gottesdienst teilnahm. Jetzt, als Erwachsener, war er nicht einmal mehr anwesend.
    Mr McShane stieg die Stufen zur Kanzel hinauf, begrüßte die Gemeinde, führte sie durch die Gebete und Lesungen des Tages, und ging dann zu seiner Predigt über, welche auf Matthäus sieben gründete: Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.
    Hatte Mr McShane ihre Gedanken – ihre unfreundlichen Überlegungen über Henry Weston – erraten? Unbehaglich rutschte Emma auf der harten, hölzernen Kirchenbank hin und her.
    Beim Zuhören befand sie, dass Mr McShane ein begnadeter Prediger war, was angesichts seiner weniger ausgeprägten Fähigkeiten als Lehrer umso mehr zu begrüßen war.
    Nach dem Gottesdienst dankten die Besucher Mr McShane im Hinausgehen. Danach kehrten die Westons und ihre Gesellschaft in der gleichen Formation, in der sie gekommen waren, nach Ebbington Manor zurück. Der Nebel hatte sich gelichtet, doch der Tag war immer noch grau und wolkenverhangen.
    Zu Hause angekommen, nahm Emma die Hand ihres Vaters, damit er ihr beim Aussteigen behilflich sein konnte. Mehrere Schritte hinter den Westons schlenderten sie gemeinsam auf das Haus zu.
    Plötzlich war hinter ihnen das Geräusch eines herannahenden Gefährts zu hören. Lady Weston, die bereits auf der Treppe stand, drehte sich um. Sir Giles, dessen Gehör nicht mehr so gut war, blickte sich ebenfalls um, um zu sehen, was die Aufmerksamkeit seiner Frau erregt hatte.
    Derselbe Eselkarren, der die Smallwoods nach Ebbington Manor gebracht hatte, rollte die Einfahrt herauf.
    Emmas Herz machte einen kleinen Satz: Auf dem Rücksitz saß Phillip Weston – der einzige Weston, den zu sehen sie sich schon im Voraus gefreut hatte. Sie zitterte beinahe vor Freude und Aufregung, ihr Magen zog sich zusammen. Hoffentlich freute er sich auch, sie zu sehen.
    Phillip lächelte und winkte ihnen zu. Oder vielleicht sogar ihr? Wusste er überhaupt, dass sie hier waren?
    Sir Giles lief mit geradezu jugendlicher Behändigkeit die Stufen wieder hinunter. »Phillip! Wie um alles in der Welt – wir haben ja gar nicht mit dir gerechnet!«
    Phillip sprang vom Wagen. »Hallo, Vater.« Er streckte die Hand aus, doch Sir Giles umarmte ihn und klopfte ihm kräftig auf den Rücken.
    Lady Weston stieg die Treppe etwas langsamer herunter; ihr Gesichtsausdruck war schwer zu deuten.
    Phillip nahm seinen Hut ab. »Hallo, Mutter.«
    Emma fragte sich, ob Henry seine Stiefmutter wohl genauso ansprach. Bisher hatte sie es jedenfalls noch nicht gehört.
    Lady Weston reichte ihm die Hand und Phillip drückte sie kurz. Sie fragte: »Ist Balliol abgebrannt oder haben sie dir außer der Reihe ein paar Tage Ferien angeordnet?«
    »Weder noch. Ich habe gehört, dass Mr und Miss Smallwood gekommen sind, und konnte es nicht erwarten, meine alten Freunde

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