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Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Titel: Die Tochter des Hauslehrers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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vor?
    Sie lag da wie erstarrt, konnte weder schreien noch weglaufen, und wartete, dass er etwas sagte.
    Doch er stand ebenfalls nur da, zögerte. Schließlich flüsterte er: »Bist du wach?«
    Sie nickte schweigend, im Vertrauen darauf, dass das Mondlicht ihm ihre Antwort sichtbar machte.
    Er trat einen Schritt näher. »Ich fahre morgen weg.«
    Wieder nickte Emma.
    Der nächste Schritt brachte ihn an ihre Bettkante. Welchen letzten Streich hatte er geplant? Wollte er die Schule mit einem Knall verlassen, einem Höhepunkt des ganzen Unfugs, den er die letzten Jahre getrieben hatte?
    »Emma …«, flüsterte er mit ernstem Gesicht.
    Sie bekam einen trockenen Mund. Du meine Güte, was hatte er vor?
    Doch er tat nichts, sondern drehte sich auf dem Absatz um und ging.
    An der Tür blickte er noch einmal zurück. »Es tut mir leid. Alles.«
    Und weg war er.

    Am nächsten Morgen ging Emma mit noch größerer Angst als sonst zum Frühstück hinunter. Würde er, der Briefschreiber, der Verfasser von » bestätige mir bitte, dass du den Brief bekommen hast, indem du dich am Ohrläppchen zupfst «, sie beobachten? Sie setzte einen gleichmütigen Gesichtsausdruck auf und trat ein.
    Henry Weston saß allein am Tisch, vor sich eine aufgeschlagene Zeitung, in der rechten Hand eine Tasse Kaffee. Er blickte auf, als sie eintrat, faltete höflich die Zeitung zusammen und legte sie beiseite. »Guten Morgen.«
    »Guten Morgen«, murmelte sie und holte sich einen Teller vom Buffet. Eier und Würstchen, die ihr mit ihrem unruhigen Magen fettig und unappetitlich vorkamen, ließ sie liegen und nahm sich nur ein Muffin und einen Teelöffel Marmelade. Dann setzte sie sich gegenüber von Henry an den Tisch – in nicht unhöflich weiter Entfernung, aber auch nicht zu nahe.
    Phillip kam herein, strahlte sie an, verbeugte sich und ging zum Buffet. Emmas Ohr fing an zu jucken. Sie hatte die Hand schon halb am Ohrläppchen, als sie Henrys wachsamen Blick bemerkte. Stammte der Brief vielleicht doch von ihm? Ihre Hand blieb mitten in der Luft hängen. Was sollte sie jetzt damit tun? Sie tat so, als winke sie Phillip zu. »Guten Morgen«, sagte sie etwas verspätet und albern im Bemühen, die Hitze, die ihr den Nacken hinaufkroch, zu ignorieren.
    Phillip drehte sich um, lächelte und wünschte ihr ebenfalls einen guten Morgen.
    Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Henry von ihr zu Phillip und wieder zurückblickte. Dann runzelte er die Stirn. »Geht es Ihnen gut, Miss Smallwood?«
    »Eigentlich ja, Mr Weston. Und Ihnen?«
    »Ich bin etwas verwirrt.«
    »Ah. Nun ja. Das kann mal vorkommen.« Sie bot nicht an, ihn aufzuklären, sondern nippte an ihrem Tee und wünschte, ihr Ohrläppchen würde aufhören, wie verrückt zu prickeln und zu jucken. Am liebsten hätte sie den Kopf seitlich gelegt und es an der Schulter gerieben, doch sie hatte Zweifel, ob sie gelenkig genug für eine solche Verrenkung war. Außerdem würde diese Bewegung sehr undamenhaft aussehen.
    Sie setzte klirrend ihre Teetasse ab und stand abrupt auf.
    Henrys Brauen hoben sich. Phillip, der noch am Buffet stand, drehte sich um.
    »Ich bin heute überhaupt nicht hungrig. Bitte entschuldigen Sie mich.«
    Emma war schon zur Tür hinaus, hörte Phillip aber noch zischen.
    »Henry«, schimpfte er, »was hast du zu ihr gesagt?«
    »Nichts.«
    Sie blieb nicht stehen, um den Rest des Gesprächs zu hören, sondern kratzte ausgiebig ihr Ohrläppchen und stieg die Treppe hinauf, an Julian und Rowan vorbei, die gerade herunterkamen.
    »Guten Morgen, Miss Smallwood.« Julians Lippen verzogen sich zu einem wissenden Grinsen. Hatte er etwa gesehen, wie sie sich am Ohrläppchen kratzte?
    »Guten Morgen«, antwortete sie schroff und ging an ihnen vorbei zum Schulzimmer. Oben angekommen war sie völlig erschöpft. Sie marschierte direkt zum Schreibtisch und öffnete eine der seitlichen Schubladen. Dann setzte sie sich auf den Stuhl ihres Vaters und fing an, die Papiere durchzusehen – Aufsätze und Prüfungsarbeiten, die die Jungen verfasst hatten.
    In einem der Aufsätze über die Ereignisse des ersten Jahrhunderts fielen ihr die »T« auf. Große Aufstriche, gekreuzt von langen, horizontalen Linien, die in die Buchstaben rechts hineinreichten. Genauso wie in dem »Liebesbrief«, den sie bekommen hatte. Wie lautete der Name oben auf dem Blatt?
    Rowan Weston.
    Emma runzelte die Stirn; ihre Befriedigung angesichts dieser Entdeckung hielt sich in Grenzen. Vielleicht hatte jemand Rowans Handschrift

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