Die Tochter des Königs
erinnern, etwas getrunken, noch den Fernseher angestellt zu haben. Sie verzog das Gesicht. Wann hatte sie sich ausgezogen? Wie spät war es überhaupt? Auf unsicheren Beinen ging sie in die Küche und holte aus dem Kühlschrank die Dose mit Kaffeebohnen. Jeder Handgriff bereitete ihr große Mühe.
Als der Kaffee fertig war, nahm sie den Becher, zog die Vorhänge auf und ging auf die Dachterrasse, die im vollen Sonnenschein lag. Ihre Hände zitterten immer noch.
»Jess?« Zwanzig Minuten später riss Carmellas Stimme sie aus ihren Gedanken, dann stand Carmella selbst in der Terrassentür. »Ich dachte mir doch, dass ich Kaffee rieche. Warte, ich mache mir auch einen.«
Erst als sie sich mit einer Tasse Kaffee zu Jess gesetzt hatte, schaute sie sie eingehender an. »Was ist passiert, Jess?«
Nachdem Jess alles erzählt hatte, herrschte zunächst Schweigen. Carmella saß vorgebeugt da, die Ellbogen auf die Knie gestützt, und betrachtete sie nachdenklich. Schließlich schüttelte sie vorwurfsvoll den Kopf. »Du hast sofort wieder vergessen, was ich dir gesagt habe, Jess. Dass du dich schützen musst«, sagte sie sanft. Sie stand auf, verschwand in der Wohnung und kehrte gleich darauf mit ihren Karten wieder. Sechs davon legte sie auf dem Tisch aus. »Ich frage
jetzt nach Daniel.« Seufzend deckte sie die Karten nacheinander auf. Dann zögerte sie. War sie hier, die unbekannte Zuschauerin? Sie spürte ihre Gegenwart nicht. Noch nicht. »Wir haben hier zwei Männer. Daniel und dieser Titus. Sie sind so eng verbunden« - sie verschränkte Ring- und Mittelfinger -, »dass sie die Gedanken des anderen lesen können. Beide verlieren zunehmend den Kontakt mit der Realität.« Sie schaute auf. »Wenn Titus dich findet, Jess, dann fürchte ich, dass Daniel dich auch finden kann. Sie sind beide sehr gefährlich.« Carmella studierte wieder die Karten und schüttelte dann den Kopf. Jetzt spürte sie die Person, das rätselhafte Lächeln, den beobachtenden Blick aus weiter Ferne. Sie stand auf. »Ich rufe Steph an. Du brauchst deine Freunde um dich, und wir müssen uns überlegen, was wir als Nächstes tun.«
»Warte!« Jess hielt sie am Ärmel zurück. »Du hast noch etwas gesehen. Was?«
»Nichts, was du nicht schon wüsstest, Jess. Du bist in Gefahr. Ich glaube, Daniel allein wäre vielleicht damit zufrieden, deinen Ruf zu ruinieren und dich zu bedrohen. Aber mit Titus in seinem Kopf ist er nicht mehr verantwortlich für seine Handlungen. Auf deinem Berg da in Wales ist zwischen ihm und Titus etwas passiert. Dadurch ist eine Verbindung zwischen ihnen entstanden, die immer stärker wird. Und jetzt hat Titus Blut an den Händen.« Wieder schüttelte sie den Kopf. »Als ich das Kartenlesen lernte, sagte meine Großmutter immer, dass man eine Sache nie, nie tun darf, und das ist, einen Tod vorherzusagen. Es ist nicht an uns, den bevorstehenden Tod eines Menschen zu prophezeien. Das können die Karten nicht. Zumindest…« Sie zögerte. »Selbst jetzt sagen sie es nicht eindeutig, aber sie warnen mich. Sie erzählen von Angst, und sie sagen mir, dass du in Todesgefahr bist.« Sacht strich sie mit den Fingern
darüber. »Wir können sie nicht ignorieren, Jess. Aber ich weiß nicht, was ich dir raten soll. Ich weiß nicht, wie wir dich schützen können.« Sie richtete sich auf. »Also, jetzt rufe ich Kim an, ja?«
Jess nickte. »Ja, bitte.« Ihr war elend zumute.
Innerhalb von zwanzig Minuten waren Kim, Steph und William bei ihnen.
Es gab nicht genügend Stühle auf der Dachterrasse, und so setzte William sich Kim zu Füßen auf ein Kissen. Carmellas Karten lagen noch auf dem kleinen Tisch, die bunten Bilder leuchteten in der Sonne.
»Ich glaube, wir sind uns einig, dass Daniel völlig durchgeknallt ist. Aber was können wir gegen ihn unternehmen? Es gibt keine Beweise, nur unser Wort gegen seines. Er ist verdammt schlau vorgegangen.« William rutschte auf seinem Kissen hin und her, um eine bequemere Position zu finden. Carmella erschien mit einem Tablett, auf dem für jeden eine Tasse Kaffee stand. »Ich muss mich bei dir entschuldigen, Carmella, dass ich deine Fähigkeiten angezweifelt habe.« Er grinste. »Du hast mir damit das Leben gerettet.«
»Ich bin froh, dass ich dir helfen konnte, William.« Sie erwiderte sein Lächeln.
Einen Moment sah er ihr in die Augen, dann wandte er sich wieder an die anderen. »Was, wenn Jess nach London zurückfährt? Wäre sie dort sicher?«
Carmella schüttelte den Kopf und setzte
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