Die Tochter des Königs
Nummer. Wenn Jess nach Rom eingeladen wurde, warum nicht auch er? Er schaute auf den Schlüssel in seiner Hand. Vielleicht sollte er ihn doch behalten. Wer weiß, womöglich würde er ihn noch einmal brauchen.
»Was meinst du, wo ich mit meinen Nachforschungen anfangen sollte?« Jess richtete die Frage an Kim, als sie abends
zu viert beim Essen saßen. Sie nahm ein Stück Focaccia aus dem Brotkorb.
Kim machte eine vage Geste. »Keine Ahnung. Hast du schon im Internet geschaut? Vielleicht in Bibliotheken? Museen? Oder römische Ruinen?« Mit Ofenhandschuhen bewaffnet, holte sie eine Auflaufform köchelnder Käsepasta aus dem Backofen. »Davon gibt es in Rom mehr als genug.« Sie stellte die Form auf den Tisch und warf die Handschuhe auf die Arbeitsfläche. »Und jetzt lasst es euch schmecken, ragazzi !«
»Hast du deine Geisterstimme jetzt schon mal hier gehört, in Rom?«, fragte William nachdenklich.
Jess schaute ihn verdutzt an. »Nein. Oder vielmehr nur im Traum.«
»Dann ist sie dir also nicht gefolgt.«
Jess schüttelte den Kopf. »Das tun Geister doch nicht, oder? Sind sie nicht an einen bestimmten Ort gebunden?«
Alle schauten ratlos drein.
»Was wir brauchen, ist ein Gespensterfachmann«, meinte Steph mit einem Lächeln.
»Carmella!«, sagte Kim sofort. »Sie kennt sich mit solchen Sachen gut aus. Wir könnten eine Séance abhalten und dein kleines Mädchen fragen, was sie eigentlich von dir will.«
»Ach, ich weiß nicht so recht.« Jess wiegte den Kopf. »Sind Séancen nicht gefährlich?«
»Es könnte lustig sein«, warf William ein und grinste. »Habt ihr in eurer Unizeit nicht auch Tischerücken und derlei Sachen gemacht? Wir haben uns dabei ein paarmal einen Höllenschrecken eingejagt!«
»Wir wollen uns keinen Höllenschrecken einjagen, William«, sagte Steph. Ihr Blick ruhte auf Jess. »Diese Sache ist ernst. Und ziemlich tragisch. Ich vermute, sie könnte sogar
gefährlich sein. Das kleine Mädchen, das in meinem Atelier spukt, denkt sich nichts dabei, ab und zu ein paar Sachen zu zerschlagen.«
Jess fiel die Gabel aus der Hand, konsterniert drehte sie sich zu ihrer Schwester. »Dann weißt du ja doch mehr über sie, als du zugegeben hast! Es ist dir also auch passiert! Und ich habe schon an meinem Verstand gezweifelt! Sie hat in deinem Atelier ein paar Figuren zerbrochen, und ich dachte, ich sei’s gewesen oder ein Vogel oder die Zugluft. Und ein anderes Mal hat sie meine Zeichnungen zerkritzelt und eine Flasche Wein zu Boden geschmissen.«
»Wie bitte?« Kim starrte sie an. »Kein Wunder, dass du nicht mehr allein dort bleiben wolltest.«
»Hast du nicht gesagt, sie habe dir keine Angst gemacht?«, fragte Steph leise. »Ich würde bei so etwas schreckliche Angst kriegen.«
Jess zuckte mit den Schultern. »Ich habe ja auch Angst gehabt. Zuerst dachte ich, vielleicht wäre jemand anderes reingekommen, ich meine, ein richtiger Mensch, und hätte das gemacht. Anfangs bin ich nicht auf die Idee gekommen, dass sie es gewesen sein könnte.«
»Und ein richtiger Mensch wäre besser als ein Gespenst? Wer in Gottes Namen sollte denn so etwas tun?« Entgeistert sah Steph sie an. »Jess!«
Wieder zuckte Jess mit den Schultern. »Ich konnte nicht klar denken. Ich wusste nicht, was ich von alldem halten sollte. Ein Einbrecher dort draußen in der Pampa? Oder das Hausgespenst. So oder so, ich war kurz vorm Durchdrehen!«
Sie merkte, dass William sie eingehend betrachtete, und schaute auf ihren Teller. Sie wollte seinem Blick nicht begegnen.
Kim erhob sich. »Jetzt rufe ich bei Carmella an!«
»Was, jetzt gleich?« Steph schüttelte unglücklich den Kopf.
»Warum nicht? Wenn sie euer Findelkind heraufbeschwören kann, finden wir vielleicht heraus, was sie quält.«
»Kim, ich weiß nicht.« Jess schaute hilfesuchend von ihrer Schwester zu William. »Das ist kein Spiel. Sie ist unglücklich und wütend. Und verwirrt.«
»Und wir können ihr helfen. Und herausfinden, was in Rom passiert ist. Ach, kommt schon! Das ist doch spannend.« Kim griff zum Hörer.
Steph lehnte sich im Stuhl zurück und machte eine hilflose Geste, die an Jess gerichtet war. »Ich fürchte, jetzt ist sie nicht mehr zu bremsen.«
»Und ich bezweifle, dass irgendetwas dabei herauskommt«, ergänzte William. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Signora so mir nichts, dir nichts Kontakt zu einem zweitausend Jahre alten Kind von einem unbekannten britischen Stamm bekommt.«
Als Kims Stimme zu einen
Weitere Kostenlose Bücher