Die Tochter des Königs
sollen.«
»Wie bitte?« Kim starrte sie an. »Natürlich tun wir das. Wie soll Jess sonst herausfinden, was mit dem Mädchen passiert ist? Sie hat mit ihr gesprochen, und Steph auch. Die beiden kennen sie schon. Sie hat mit ihnen in Wales kommuniziert. Jetzt möchten wir, dass sie mit uns hier in Rom spricht. Kannst du das bewerkstelligen?«
Mit einem Schulterzucken griff Carmella nach ihrem Weinglas, das auf dem Regal hinter ihr stand, und trank nachdenklich einen Schluck. »Für Geistwesen sind alle Orte und Zeiten gleich. Es ist völlig egal, wo man ist«, wandte sie sich wieder an die anderen.
»Es sei denn, sie ist fest mit dem Haus in Wales verbunden. Oder stimmt das nicht? Bleibt ein Geist nicht immer an dem Ort, an dem etwas Bestimmtes passiert ist?«, warf William ein und hob die Augenbrauen.
Carmella entging sein skeptisches Lächeln nicht. »Du glaubst nicht daran. Das macht nichts. Wenn sie reden will, tut sie es so oder so. Kommt.« Sie setzte ihr Weinglas ab und rutschte auf den Rand ihres Sessels vor. »Wir halten uns an den Händen.« Sie streckte die Arme aus und reichte Kim eine Hand, William die andere. Nach kurzem Zögern ergriff er sie und streckte seine andere Hand nach Jess aus.
Eine ganze Minute schwiegen sie, dann begann Carmella zu sprechen. Ihre Stimme war tief und rauchig. »Sag mir noch einmal den Namen von diesem Mädchen in Wales.«
»Eigon«, flüsterte Jess.
Carmella nickte. »Gut. Und jetzt bleibt still sitzen. Schließt die Augen. Ich werde sie rufen.«
Jess hielt die Luft an. Neben ihr saß William, er hatte die Augen wie befohlen geschlossen, um seine Lippen spielte ein Lächeln. Seine Hand lag warm und fest in ihrer. Stephs Hand auf der anderen Seite war etwas feucht. Jess öffnete ein Auge und warf einen Blick zu ihr. Im Kerzenlicht sah sie sehr blass aus, ihr Gesicht war ruhig und unbewegt wie Marmor.
»Eigon, wir möchten mit dir sprechen. Zeig dich hier bei uns. Vielleicht können wir dir in deinem Unglück helfen.« Carmellas kehliger italienischer Akzent hallte in den Schatten. »Eigon, ich bitte dich, hier bei uns zu erscheinen. Steph und Jess kennst du, du hast sie schon mehrmals um Hilfe gebeten. Wir sind jetzt hier, weil wir deine Bitten erfüllen möchten.«
Carmella verstummte. Die Kerzen hinter ihr flackerten, eine leichte Brise wehte zum Fenster herein. Dort draußen im Äther war jemand, der lauschte, sich wappnete. Carmella runzelte die Stirn. »Bitte, komm zu uns, Eigon. Wir sind für dich da.« Ihre Stimme wurde heller und lauter. Jetzt bat sie nicht mehr, sie befahl. »Komm und erzähl uns deine Geschichte, Eigon von Wales!«
»Wales gab es damals noch nicht«, flüsterte Jess, die Augen fest geschlossen.
Carmella zuckte mit den Achseln. »Eigon von den Stämmen, kannst du mich hören? Die Karten sprechen von Liebe und Trauer und Angst. Erzähl uns deine Geschichte. Wir hören dir zu.«
Der Lärm einer Sirene, die in der Ferne irgendwo im Stadtzentrum schrillte, vertiefte nur die Stille im Raum, in dem die Kerzen wieder flackerten. Eine der Flammen brannte herab und erlosch mit einem leisen Zischen. Jess
bekam einen trockenen Mund und wurde sich bewusst, dass sie Williams und Stephs Hände fest umklammerte.
» Bene. Sie kommt«, hauchte Carmella. Ihre Augen waren geschlossen, ihre Gesicht unbewegt. »Spürt ihr sie auch hier im Raum?«
Das plötzliche Scheppern der Türglocke, das durch die Wohnung hallte, zerriss die Atmosphäre mit erschreckender Brutalität.
»Dio!« Ärgerlich öffnete Carmella die Augen. »Das ist so gefährlich! Welcher Idiot läutet zu mezzanotte an der Tür?« Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »So spät ist es schon!« Alle starrten sich benommen an.
Kim rappelte sich auf, ging zur Tür und knipste das Licht an. »Mein Gott, das tut mir wirklich leid. Ich habe keine Ahnung, wer so spät noch kommen könnte. Wer immer es ist, ich schicke ihn fort, dann machen wir weiter.«
»Zu spät! Sie ist weg!« Carmella griff nach ihrem Glas und leerte es in einem Zug. »Der Bann ist gebrochen. Jetzt kommt sie nicht mehr.«
»Doch.« Jess hatte sich nicht bewegt, sie starrte noch auf den Tisch, die Augen fest auf den Kartenhaufen gerichtet. »Ich spüre sie. Sie ist noch da.«
Kim blieb zögernd in der Tür stehen. »Ich schicke die Leute weg, wer immer sie sind. Das Mädchen kommt bestimmt wieder, Carmella. Es will mit Jess reden.«
Wieder klingelte es. Kim verschwand im Flur. William holte die Weinflasche und
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