Die Tochter des Leuchtturmmeisters
behauptet, so haben wir doch Handel mit den Deutschen getrieben und bekamen es unter anderem in Gold bezahlt. Es heißt, dass einige dieser Schiffe verschwanden. Ich kann mich nicht erinnern, dass auch nur ein einziges der verschwundenen Fahrzeuge je gefunden wurde. Allerdings ist vieles sicher vertuscht worden. Hast du vom Melmer-Zug und dem Nazigold gehört?« Karin konnte gerade noch den Kopf schütteln, da redete Onkel Bruno schon weiter, intensiv im Erzählen und mit großer Präsenz.
Drei Stunden waren sie bei ihm geblieben. Walter wachte in seinem Wagen vor dem Haus auf, und Lycke ging hinaus, um nach ihm zu sehen. Mit dem Eindruck, wirklich bereichert worden zu sein, bückte sich auch Karin und begab sich durch die niedrige Türöffnung nach draußen.
»Anita! Wo es mir gerade einfällt, warte einen Augenblick.« Die alte dicke Bohlentür knarrte, als Bruno wieder ins Haus ging. Es klang, als polterte etwas zu Boden, und sie hörten ihn fluchen, bevor er mit einem Buch in der Hand zurückkehrte.
»Hier. Ich hatte es mir von euch geborgt … tja, das war bestimmt vor fünf Jahren. Ihr müsst entschuldigen, aber ich hatte es total vergessen.«
»Ach ja?«, sagte Anita fragend, aber als sie das in Leder gebundene Buch sah, veränderte sich ihre Miene. Sie strich mit der Hand über den Einband, bevor sie die erste Seite aufschlug.
Anita & Per
May the hills rise to meet you, and may you always have the wind in your back.
Die allerherzlichsten Glückwünsche zum Tag Eurer Hochzeit! Liebe Grüße Karl-Axel
»Was ist das?«, fragte Lycke.
»Ein Logbuch«, erwiderte Anita zögernd. »Wir haben es von Karl-Axel Strömmer zur Hochzeit bekommen. Das hatte ich vergessen.«
»Strömmer, ja«, sagte Bruno. »Da hast du noch eine faszinierende Familie, Karin. Axel Strömmer war Leuchtturmmeister auf Pater Noster. Es gibt da eine alte Geschichte, dass seine Kinder, Karl-Axel und Elin, die Deutschen um zwei Goldschiffe gebracht haben, also, dass sie zwei ganze Goldschiffe ergattert haben. Arvid soll auch daran beteiligt gewesen sein.«
In Brunos Haus klingelte ein Telefon.
»Ja, das Gold ist nie wiedergefunden worden, und zur selben Zeit verschwanden Arvid und Elin. Aber ich weiß nicht, man erzählt ja so viele Geschichten«, sagte er und hob die Hand zum Abschied, bevor er hineinging, um den Hörer abzunehmen.
Oslo, Dezember 1963
Es war ein nasskalter Abend, und sie war unterwegs von der Arbeit nach Hause. Ihre Beine waren bleischwer, und die Stiefel saßen eng um ihre geschwollenen Füße. Sie konnte fühlen, wie das Blut pulsierte, und ihre Füße, die im Restaurant den ganzen Abend hin und her getrabt waren, baten um Ruhe und dass man sie aus dem Ledergefängnis entlasse.
Der Weg durch den Schlosspark war kürzer, und sie schaute sich um, bevor sie eilig zwischen den reich dekorierten Laternen entlanglief. Es war nicht der beste Weg, den eine Frau ohne Begleitung am Abend nehmen konnte.
Ein Stück vor ihr lag eine Gestalt auf der Erde. Als Elin näher kam, sah sie, dass es eine Frau war. Sie gab keine Antwort und hob nur kurz die Lider, als Elin ihr die Hand auf die bleiche Stirn legte. Die Frau war stark unterkühlt und kaum bei sich. Ihr eines Bein lag in einem unnatürlichen Winkel, und sie jammerte, als Elin es berührte. Elin schaute sich auf den leeren Parkwegen um, sprach beruhigend auf die Frau ein und erklärte, dass sie Hilfe holen würde. Sie zog ihren Mantel aus und breitete ihn über die Gefallene, während sie versicherte, gleich wieder zurück zu sein. Dann rannte sie, so schnell sie konnte, zur Straße.
Drei Stunden später saßen die beiden zusammen im Krankenhaus und warteten, dass der Gips an Frau Hovdans Bein trocknete. Die klaren grauen Augen der Frau ruhten auf Elin.
»Wann ist es so weit?«, fragte sie.
»Entschuldigung, ich verstehe nicht?«, gab Elin zurück.
»Das Kind, wann kommt es?«
Erst da kam das Weinen. Elin schluchzte so sehr, dass sie zitterte und überhaupt nicht wieder aufhören konnte.
»Schon gut, schon gut, so schlimm kann es doch wohl nicht sein«, sagte die Frau.
Elin erzählte ihr alles, und als sie später am Abend ihre wenigen Habseligkeiten aus dem Zimmer holte, das sie gemietet hatte, und in Frau Hovdans Wohnung wieder auspackte, fühlte sie sich irgendwie besser. Die Wohnung war groß und lag direkt hinter dem Schloss, an der Ecke Riddervoldsgate und Oskarsgate. Frau Hovdan war Witwe und hatte keine eigenen Kinder. Es war, als
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