Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
entfernt. Temu zeigte ihr eine andere Stelle. Ein anderer Kaidhan, ein anderes Jahr, und wieder der Maghai, dessen Name verschwunden war. Und so ging es weiter. Temu las ihr vor, was dort stand. Der Namenlose war zunächst in Awi aufgetaucht, in den letzten Lebensjahren Labars, er wurde in jeder Stadt in Kydhien gesehen, als Enlin herrschte, und war mehrfach in Aurica und selbst in Ulbai gewesen. Die Tafeln schwiegen sich darüber aus, was der Zauberer in diesen Städten getan oder gewollt hatte. Bald schwirrte Maru der Kopf von all den Städtenamen und Jahreszahlen. Sie ließ die Tafel sinken. »Was bedeutet das, Temu?«
»Nun, es ist nicht meine Art, übereilte Schlussfolgerungen zu ziehen, wie du sicher weißt, aber ich gebe zu, diese Liste ließ mich
nachdenken – wann immer ich sie zur Hand nahm. Legte ich sie aber aus der Hand, vergaß ich fast sofort wieder, worüber ich nachsann. Vielleicht ist es wirklich ein Zauber. Ich nehme an, die Maghai mögen es nicht, wenn man ihre Taten aufschreibt. In Heimlichkeit geschieht doch alles, was sie unternehmen. Sie kommen und gehen, wie es ihnen gefällt, und niemand gebietet über ihr Tun. Ganz im Gegenteil, sie sind es, die selbst die Mächtigen beherrschen können – wenn sie es wollen.«
»Das weiß ich alles, Temu«, behauptete Maru, »doch sag mir, was hat es mit diesem Mann ohne Namen auf sich?«
Temu kratzte sich am Kopf. »Das kann ich dir nicht sagen, doch habe ich eine eigene Liste erstellt. Siehst du?« Er zeigte ihr eine frische Tontafel. »Hier habe ich festgehalten, was über den Namenlosen berichtet wurde. Ich habe es, könnte man sagen, ein wenig geordnet, um mir Übersicht zu verschaffen. Wie du hier siehst, ist er ein Wanderer. Andere Maghai wanderten auch, aber sie kehrten stets in ihre Heimat zurück und blieben oft über Jahre dort. Nicht so dieser Mann. Er wurde zunächst in Awi gesehen, vor etwas über vierzig Jahren. Da trug er den Beinamen ›der Junge‹, doch ist nicht vermerkt, wer sein Meister war oder ob er überhaupt einen hatte. Er ging nach Aurica, dann nach Ulbai, dann den Dhanis hinauf bis nach Serkesch und Scha-Adu. Am Hyrd wurde er das nächste Mal gesehen, doch liegen drei Jahre zwischen diesen Meldungen. Ich nehme an, dass er in der Zeit dazwischen bei den Budiniern oder Farwiern war.«
»Wann war das?«, fragte Maru. Sie war doch vermutlich in Budinien zur Welt gekommen.
»Das ist beinahe dreißig Jahre her, Maru. Er wanderte den Hyrd wohl hinab, kam wieder nach Ulbai, ging nach Awi, dann die Küste entlang, durch Aurica, bis er wieder für einige Jahre das Reich verließ. Ich nehme an, er ging in die Himmelsberge, zu den Imriciern und dann entlang der weißen Salzwüste nach Norden, denn das
nächste Mal wurde er in Igaru gesehen. So geht es weiter. Er wanderte von Stadt zu Stadt, nie schien er Ruhe zu finden. Vor siebzehn Jahren schließlich ging er wieder nach Serkesch, damals noch eine sichere Festung des Reiches, zuletzt nach Scha-Adu. Noch etwas ist bemerkenswert. Es kommt oft vor, dass sich die Wege der Maghai kreuzen. Und es gibt Hinweise, dass sie auch von Zeit zu Zeit ein Stück gemeinsam wandern oder sich über viele Monde zu zweit oder gar zu dritt in derselben Stadt aufhalten. Aber dieser hier nicht. Nachdem es mir das erste Mal aufgefallen war, habe ich darauf geachtet. Es scheint so zu sein, dass er seinen Brüdern aus dem Weg ging. Mehr als einmal fand ich einen Hinweis wie hier: Der Maghai Ufias ging in die Stadt Aqar Bairuti im Dattelmond, im Jahr, da Enlin-Etellu Herr wurde über das Reich. Maghai - hier fehlt der Name - brach im Mond zuvor von dort nach Esqu auf. Es fällt auch auf, dass alle Angaben bei ihm unbestimmter sind als bei anderen. Die Schreiber haben seine Anwesenheit vermerkt, aber sie waren stets unsicher, wann er kam und wann er ging. Ich hoffe, du bist nicht böse, dass ich über diese Tafel deine anderen Aufträge vernachlässigt habe? Wo ich doch gar nicht weiß, ob dies das ist, was du gesucht hast.«
»Nein, Temu, nein, dies ist genau, was ich suchte. Was ist aus diesem Maghai geworden?«
»Er ging nach Scha-Adu, wie ich sagte. Dort verließ er das Reich. Das ist ungefähr siebzehn Jahre her. Befremdlich daran ist, dass er offenbar nicht alleine ging und dass der Schreiber es für wert hielt, das festzuhalten.«
»Er ging nicht alleine?« Marus Herz klopfte bis zum Hals.
»Hier steht geschrieben, dass … Augenblick … ja, da«, Temu räusperte sich: » Der Maghai – der Name
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