Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
dieser Berg zu erlangen ist. Ich lege die Entscheidung in deine Hand, was du unseren Leuten sagen willst – und was nicht.«
»Ein Berg Silber?«
»Ein großer Berg, Tagor.«
Der Iaunier sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Dann hatte er sich entschieden: »Wartet draußen, Männer, eure Anführer haben etwas zu besprechen.«
Maru fühlte sich zwar nicht angesprochen, musste aber trotzdem mit hinaus in den Hof. Sie fragte sich, wo der stumme Yalu war. Hoffentlich hatten ihm die Männer nichts getan.
»Du glaubst, ihr seid fein raus, das glaubst du doch?«, zischte Agir, als sie aus dem Haus traten.
Maru war nicht in der richtigen Stimmung, sich seine Sticheleien bieten zu lassen. »Im Augenblick bin ich in Sicherheit und du nicht, Schlange«, antwortete sie knapp und legte die Hand an ihren Dolch.
»Willst du mir drohen, Kaschakku?«, geiferte Agir. Kaschakku, Weib des Bösen , das war ein Wort, das die Akkesch aus dem Süden mitgebracht hatten. Maru hatte es in dieser Stadt zum ersten Mal gehört, und zwar von Agir. Er hatte sie schon mehrfach so genannt und behauptet, sie würde mit der Erwachten im Bunde stehen, ohne auch nur zu ahnen, wie nah er damit an der Wahrheit war. Allerdings wagte er das nur, wenn Tasil oder Hardis nicht in der Nähe waren.
Maru schloss die Augen. »Komm mir nicht näher«, bat sie ganz ruhig. Und gleichzeitig flüsterte ihre zweite Stimme Agir zu, dass es viel besser für ihn sei, den Mund zu halten, weil er sonst gro ßen Schmerz erfahren würde. Du musst es sehen , hatte Tasil ihr beigebracht. Und das tat sie, sie sah einen erstaunten Agir, dem eine Klinge in der Brust steckte. Dann öffnete sie die Augen. Der schmächtige Kydhier war kreidebleich. Seine Hand lag auf dem Brustbein. Vorsichtig nahm er sie weg und starrte sie an, so als erwartete er, sie voller Blut zu sehen. »Kaschakku«, zischte er, drehte sich mit zitternden Knien um und wankte aus dem Tor hinaus auf die Straße.
»Was hat er?«, fragte Gybad.
»Ich weiß nicht, vielleicht ist ihm seine Falschheit auf den Magen geschlagen«, antwortete Maru düster. Agir hatte Tasil und damit auch sie an Tagor Xonaibor verraten. Es geschah ihm ganz recht, wie sie fand. Aber eigentlich war sie sehr erschrocken. Der Kydhier schien den Schmerz, den sie doch nur gedacht hatte, wirklich gefühlt zu haben. Etwas Ähnliches war noch nie geschehen.
»Ob ich nach ihm sehen sollte?«, fragte Gybad unschlüssig. Dieser körperlich so starke Mann war schwach, wenn es um das Fällen eigener Entscheidungen ging. Meist übernahm Hardis das Denken für ihn oder, wenn der nicht in der Nähe war, Agir.
»Tu das, er wird es dir hoffentlich danken«, antwortete Maru. Eigentlich mochte sie den gutmütigen Gybad ganz gern, doch im
Augenblick brauchte sie ihre Ruhe. Sie musste nachdenken. Was die da drinnen wohl zu besprechen hatten? Die durchdringende Stimme des Iauniers war zu hören, aber leider nicht zu verstehen. Seine beiden Leute bewachten den Eingang, es war also nicht möglich, sich näher heranzuschleichen. Sie wischte den Gedanken beiseite. Es war beinahe unwichtig, was Tasil nun schon wieder plante. Es waren größere Dinge im Gange. Sie konnte – und wollte – sich nicht mehr danach richten, was ihr selbsternannter Onkel vorhatte. Sie musste selbst handeln. Sie musste ihre eigenen Entscheidungen treffen. Dann durchfuhr es sie wie ein Blitz – der Schreiber! Den hatte sie völlig vergessen! Sie musste ins Bet Schefir!
»Wo willst du hin?«, fragte einer der beiden Iaunier, als sie zur Pforte lief.
»Nur etwas nachlesen«, log Maru. Das erfüllte seinen Zweck. Die beiden Männer starrten sich verdutzt an und vergaßen, sie aufzuhalten. Sie lief durch das Tor und beeilte sich, außer Sichtweite zu kommen. Ob Temu seinen Auftrag wohl erfüllt hatte? Die Zeit wurde allmählich knapp. Nur wenige Schritte vom Haus des Richters entfernt sah sie Agir an einer Mauer sitzen. Er barg sein Gesicht in den Händen. Gybad saß stumm neben ihm, seine Pranke lag tröstend auf der Schulter des schmächtigen Mannes. Maru nickte ihm knapp zu. Agir blickte auf. Furcht stand in seinen Augen und Hass. »Noch ein Feind mehr«, dachte Maru und hätte beinahe gelacht, weil es auf einen mehr oder weniger nun auch nicht mehr ankam. Der Maghai Klias wollte sie tot sehen, Tagor Xonaibor war eine weitere Bedrohung, und der Immit ließ sie nur leben, weil er sie noch brauchte, hatte ihr »Onkel« gesagt, der tückischste Feind von allen. Und dann
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