Die Tochter des Magiers
und du mußt solche Verrücktheiten natürlich
mitmachen. Warum zum Teufel hast du dich von jemandem so
verunstalten …« Sie brach erschrocken ab. »Tut mir leid.«
»Schon okay.« Er strich sich das Haar aus den Augen und setzte
sich auf. »Mir ging's eines Abends ziemlich mies, ich war ein wenig
betrunken und gereizt wie eine wütende Klapperschlange. Statt mich nach
einem passenden Opfer umzuschauen, dem ich den Schädel einschlagen
könnte, beschloß ich, mir ein Tattoo zuzulegen. Außerdem hat es mich
daran erinnert, wo ich herkomme.«
Sie musterte sein verschlossenes Gesicht und das dunkle
Funkeln in seinen Augen. »Also, ich glaube beinahe, daß Lily mit ihrer
Theorie recht hat, daß du einfach den Verstand verloren hattest.«
»Sag Bescheid, wenn du die Wahrheit hören willst. Ich werde
dir alles bis in die letzten Einzelheiten erzählen.«
Sie wandte den Blick ab, ehe sie ihre Vorsätze vergaß und sich
wieder von ihm einwickeln ließ. »Das würde auch nichts ändern. Du
kannst mir erzählen, was du willst. Die letzten fünf Jahre kannst du
dadurch nicht ungeschehen machen.«
»Du läßt es mich ja nicht einmal versuchen.« Er nahm ihr
Gesicht in seine Hände und strich ihr Haar zurück. »Ich muß mit dir
reden, Rox. Es gibt so vieles, was ich dir sagen muß.«
»Wozu, Luke? Die Zeit läßt sich nicht zurückdrehen. Und du
ahnst nicht einmal, wie sehr sich alles geändert hat.« Roxanne merkte
bestürzt, daß sie drauf und dran war, mehr zu sagen, als klug war, und
wußte, daß sie keine Sekunde länger bleiben durfte. »Wie es weitergehen
soll, muß ich mir erst überlegen.«
»Was gibt es da zu überlegen? Es geht auf alle Fälle weiter.«
»Ich habe mich daran gewöhnt, allein zu sein.« Sie holte tief
Atem. »Und jetzt wird es Zeit, daß ich nach Hause komme.«
»Bleib bei mir«, bat er leise.
»Ich kann nicht«, erwiderte sie, obwohl die Versuchung beinah
unwiderstehlich war.
»Du willst nicht.«
»Gut, ich will nicht.« Sie stand auf und begann sich
anzuziehen, ehe sie doch noch schwach wurde. »Ich habe mir mein Leben
ganz gut eingerichtet. Ob du bleibst oder wieder gehst, ist letztlich
egal. Wenn ich dir etwas schulde, dann Dankbarkeit dafür, daß ich stark
genug geworden bin, mit allem fertig zu werden, was auch immer kommen
mag.« Sie hob den Kopf und wünschte, sie wäre tatsächlich so kühl und
gelassen wie ihre Worte klangen. »Also – danke, Callahan.«
Ihre Kaltblütigkeit traf ihn wie ein Messerstich. »Keine
Ursache.«
»Bis morgen.« Sie ging aus dem Zimmer, doch schon an der
Treppe begann sie zu rennen.
SECHSTES
KAPITEL
I m ganzen Haus herrschte Aufruhr. Roxanne
war kaum zur Tür herein, als alle auf sie zustürzten und wild
durcheinander redeten. Sie hob Nathaniel hoch, der schon im Schlafanzug
war, und küßte ihn zur Begrüßung. Es tat ihr leid, daß sie nicht daheim
gewesen war, um ihn zu baden.
»Jetzt mal Ruhe«, rief sie, aber kein Mensch hörte auf sie.
Nate war begeistert über diese Aufregung und begann mit
ohrenbetäubender Stimme ein Seemannslied zu singen. In dem ganzen
Wirbel verstand sie nur einzelne Wortfetzen – Telefon, Kaviar,
Clark Gable, San Francisco, Kartenspiel –, aber daraus konnte
kein Mensch klug werden. »Was? Clark Gable ist aus San Francisco
rübergekommen und hat Kaviar gegessen und Kartentricks gemacht?«
Alice lachte, und Nate zupfte seine Mutter krähend an den
Haaren. »Wer ist Clark Gable, Mama? Wo ist er?«
»Er ist schon tot, Schatz, und das sind gleich auch gewisse
andere Leute, falls sie nicht mal die Klappe halten!« Die
letzten beiden Worte schrie sie mit voller Lautstärke, und eine
verblüffte Stille trat ein. Ehe irgend jemand von neuem loslegte,
deutete sie auf Alice. Wenn einer imstande war, ihr alles ruhig und
vernünftig zu erklären, dann sie.
»Du weißt doch, wie gern die Nachtschwester sich alte Filme im
Fernsehen ansieht?«
»Ja, ja.«
»Sie hatte wie immer den Apparat laufen, und heute kam San
Francisco, dieser Film mit Clark Gable und Spencer Tracy.
Lily half deinem Vater gerade dabei, das Abendessen …« Lily
begann zu schluchzen und schlug die Hände vors Gesicht. Roxanne geriet
in Panik.
»Was ist mit Daddy?« Ohne Nate abzusetzen, drehte sie sich um
und wollte die Treppe hinaufstürmen, doch Alice hielt sie zurück.
»Nein, Roxanne, ihm geht es gut, wirklich.« Obwohl sie eine
kleine, zerbrechlich aussehende Person war, hatte sie einen erstaunlich
festen Griff. »Laß mich den Rest
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