Die Tochter des Magiers
sagte Max mit tiefer gebieterischer Stimme. »Schwöre
bei allem, was dir heilig ist, daß du niemals irgendeines der
Geheimnisse unserer Kunst verraten wirst.« So ein Getue, dachte Luke,
das sind doch alles bloß Tricks. Aber irgendwie wollte das Grinsen ihm
nicht recht gelingen, und ein merkwürdiges Gefühl, das er nicht
begreifen konnte, hatte ihn auf einmal gepackt. Seine Stimme war nur
ein Flüstern. »Ich schwöre es.«
Max musterte einen Moment lang Lukes Gesicht und nickte dann.
»Sehr gut. Nun hör zu, was du tun sollst.«
Es war wirklich ganz einfach, so verblüffend einfach, daß Luke
darüber staunte, wie man ihn oder das Publikum jemals hatte übertölpeln
können. Er gestand es sich nur sehr ungern ein und würde es Max
gegenüber niemals zugeben, aber nachdem er nun wußte, wie Roxanne sich
in den Hasen verwandelt hatte oder wie sie unter dem Cape verschwunden
war, war er sogar ein bißchen traurig.
Max ließ ihm keine Zeit zu trauern. Über eine Stunde
wiederholten sie immer wieder jede einzelne Bewegung der Nummer, ließen
manches, das zu Roxanne gepaßt hätte, weg und ersetzten es durch
anderes, das für Luke besser geeignet war.
Die Arbeit war anstrengend und unglaublich monoton, aber Max
gab sich nicht zufrieden, bevor nicht alles hundertprozentig klappte.
»Wie kommt es, daß du dich so abrackerst für ein paar
Bauerntrottel? Für ihren lausigen Dollar wären sie zufrieden, wenn du
ein paar Kartentricks machst und ein Kaninchen aus dem Hut ziehst.«
»Ich aber nicht. Ich halte mich an den Grundsatz: Arbeite
stets so, daß du selbst zufrieden bist, und du wirst immer das Beste
leisten.«
»Aber jemand, der so viel kann wie du, muß doch nicht auf so
einem miesen Rummel auftreten.«
Max verzog die Lippen zu einem Lächeln und strich sich über
den Schnurrbart. »Besten Dank für dein Kompliment, wenn es auch ein
wenig ungeschickt formuliert war. Mir gefällt dieses Zigeunerleben nun
einmal. Und da es dir offensichtlich nicht bewußt ist, will ich dir
verraten, daß mir dieser miese Rummel gehört.«
Er schwang seinen Umhang über Luke, schnippte zweimal mit den
Fingern und lachte leise, als die Gestalt unter dem schwarzen Cape sich
nicht von der Stelle rührte. »Ein guter Assistent verschläft nie sein
Stichwort, auch wenn er noch so verdutzt ist.«
Unter dem Cape hörte man ein leises Schnaufen, und die Gestalt
verschwand. Max war ganz und gar nicht unzufrieden mit Lukes
Fortschritten, im Gegenteil. Der Junge würde seine Sache sehr gut
machen. Mit seiner Frechheit, seinem Lebenshunger, seinem Trotz und der
Verletzlichkeit, die er trotz allem besaß, war er für das was Max mit
ihm vorhatte, wie geschaffen. Als Gegenleistung würde er ihm ein
Zuhause geben und die Chance, sich frei zu entscheiden.
Ein faires Geschäft, dachte Max. »Noch mal«, sagte er einfach,
als Luke aus den Kulissen wieder auf die Bühne trat. Nach einer
weiteren Stunde fragte sich Luke, warum er sich bloß jemals gewünscht
hatte, bei der Nummer mitzumachen. Als Lily ins Zelt kam, war er kurz
davor, Max klipp und klar zu sagen, was er mit seinem Zauberstab machen
könne.
»Ich weiß, ich bin spät dran«, rief sie. »Heute geht alles ein
wenig drunter und drüber.«
»Und Roxanne?«
»Bestens, ihr ist nur heiß, und sie langweilt sich.« Lily
seufzte. »Ich lasse sie gar nicht gern allein. Alle sind im Moment
beschäftigt, deshalb habe ich … ach, Luke.« Ihr Gesicht hellte
sich auf. »Schatz, du tätest mir einen riesigen Gefallen, wenn du dich
für ein Stündchen zu ihr setzen würdest.«
»Ich?« Er machte ein Gesicht, als hätte sie ihn aufgefordert,
eine Kröte zu schlucken.
»Sie könnte wirklich ein bißchen Gesellschaft gebrauchen. Es
lenkt sie von diesem gräßlichen Jucken ab.«
»Na ja, nur …« Ihm kam ein Einfall. »Ich würde ja
gern, aber Max braucht mich zum Proben.«
»Proben?«
Max konnte ihm die Gedanken förmlich von der Nasenspitze
ablesen. Lächelnd legte er ihm eine Hand auf die Schulter und merkte,
daß Luke sich nur ganz kurz verkrampfte. Ein Fortschritt, dachte er
flüchtig. »Darf ich dir das neueste Mitglied unserer fröhlichen Truppe
vorstellen?« sagte er zu Lily. »Luke wird heute abend einspringen.«
»Wie … heute?« Bestürzt schaute Luke ihn an. »Bloß
heute abend? Ich habe mich doch nicht die ganze Zeit so abgerackert für
einen einzigen Abend.«
»Warten wir's erst mal ab. Wenn du heute deine Sache gut
machst, bist du morgen wieder mit dabei. So etwas nennt
Weitere Kostenlose Bücher