Die Tochter des Magiers
huschte leise die Treppe
hinunter. In der Küche fand sich bestimmt noch etwas von dem
Schweinebraten, und LeClercs Nußkuchen war ebenfalls nicht zu verachten.
Beim Klang von LeClercs Stimme blieb er stehen und fluchte
unterdrückt. Er wußte immer noch nicht genau, wie er den alten Mann
einschätzen sollte. Aber als er Max lachen hörte, schlich er näher.
»Auf deine Informationen ist stets Verlaß, Jean. Die Pläne,
der Safe, die Edelsteine … Über den kleinen Hund will ich mich
daher nicht allzusehr beklagen.«
»Letzte Woche hatten sie noch keinen Hund. Nicht mal vor fünf
Tagen.«
»Jetzt haben sie einen.« Max lachte und trank einen Schluck
Brandy. »Und er ist noch nicht mal stubenrein.«
»Dank der Heiligen Jungfrau, daß er nicht gebellt hat.«
LeClerc goß einen Schuß Bourbon in seinen Kaffee. »Solche
Überraschungen mag ich gar nicht.«
»Da sind wir unterschiedlicher Ansicht. Ich liebe es«, sagte
Max mit leuchtenden Augen. »Andernfalls wäre doch alles nur Routine,
findest du nicht?« Er hielt die funkelnde Halskette hoch und ließ die
Steine durch seine Finger gleiten. »Ob die Tatsache, daß dieses gute
Stück hier die Bezahlung für eine Spielschuld war, sie davon abhalten
wird, den Verlust zu melden?«
»Egal, man wird jedenfalls nie herausfinden, wer sie stibitzt
hat.« LeClerc wollte ihm mit seiner Tasse zuprosten und erstarrte.
Langsam stellte er sie zurück auf den Tisch. »Ich fürchte, heute Nacht
haben die Wände hier mindestens zwei Ohren.«
Max blickte auf und seufzte. »Luke.« Er winkte. »Komm her.«
Als Luke in die Küche kam, musterte er das Gesicht des Jungen. »Du bist
noch so spät auf?«
»Ich konnte nicht schlafen.« Obwohl er eigentlich so tun
wollte, als habe er nichts gesehen, starrte Luke unwillkürlich auf die
Halskette. Doch weil er Max inzwischen restlos vertraute, schaute er
schließlich auf und sagte ganz ruhig: »Du hast sie gestohlen.«
»Ja.«
Vorsichtig streckte Luke eine Hand aus und berührte einen der
blaßblauen Edelsteine. »Warum?«
Max lehnte sich zurück und nippte an seinem Brandy. »Warum
nicht?«
Ein Grinsen erschien auf Lukes Gesicht. Eine solche Antwort
gefiel ihm weit besser als ein Dutzend spitzfindiger Rechtfertigungen.
»Dann bist du ein Dieb.«
»Unter anderem. Bist du enttäuscht?«
In Lukes Augen sah Max die Antwort, noch ehe der Junge etwas
erwiderte. »Nein, du könntest mich nicht enttäuschen.« Er schüttelte
heftig den Kopf. »Niemals.«
»Sei da nicht so sicher.« Max berührte flüchtig seine Hand und
griff dann wieder nach der Kette. »Die Vase, die du neulich zerbrochen
hast, war ein Gegenstand – und diese Kette ist ebenfalls
einer. Gegenstände besitzen nur so viel oder so wenig Wert, wie die
Leute ihnen beimessen.« Er schloß seine Hände, schlug die Fäuste
zusammen und öffnete sie wieder. Beide Hände waren leer. »Auch das ist
nur eine Illusion. Ich habe meine Gründe dafür, mir das zu nehmen, was
für andere einen gewissen Wert besitzt. Eines Tages erzähle ich sie dir
vielleicht. Bis dahin bitte ich dich, nicht darüber zu sprechen.«
»Ich sage niemandem was.« Eher wollte er tot umfallen. »Ich
kann dir helfen. Jawohl«, wiederholte er wütend, als LeClerc abfällig
schnaubte. »Ich kann als Taschendieb gutes Geld verdienen.«
»Luke, so etwas wie schlechtes Geld gibt es gar nicht. Aber
mir ist es lieber, du leerst keine Taschen mehr, falls es nicht bei
einer Vorstellung zur Nummer gehört.«
»Aber warum …?«
»Ich will es dir sagen.« Er bedeutete Luke, sich zu setzen,
und die Juwelen waren plötzlich wieder in seiner Hand. »Wenn du so
weitergemacht hättest wie auf dem Rummelplatz, hättest du sehr leicht
erwischt werden können. Und das wäre höchst bedauerlich gewesen.«
»Ich bin vorsichtig.«
»Du bist jung«, verbesserte Max. »Ich bezweifle, daß du dich
jemals gefragt hast, ob die Leute, die du bestohlen hast, sich den
Verlust leisten konnten.« Er schüttelte den Kopf, ehe Luke antworten
konnte. »Damals warst du in Not. Jetzt nicht mehr.«
»Aber du stiehlst doch auch.«
»Weil ich mich dazu entschlossen habe. Weil ich es ganz
einfach genieße. Und aus vielerlei Gründen, die du …« Er brach
ab und lachte leise. »Ich wollte gerade sagen, die du nicht verstehen
würdest. Aber du würdest es verstehen.« Er schwieg einen Moment
versonnen. »Ich war ungefähr in deinem Alter, als LeClerc mich
aufgelesen hat. Ich schlug mich durch, indem ich ein paar Groschen mit
dem
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