Die Tochter des Magiers
verweinten Augen, doch sie
lächelte verschmitzt. »Das habe ich schon immer gewußt.«
Sam verließ zwar das Haus, jedoch nicht das
Viertel. Erst hatte er noch eine Rechnung zu begleichen. Es gab nur
eine Erklärung dafür, daß man ihm auf die Schliche gekommen war.
Roxanne mußte ihn verpfiffen haben.
Dabei hatte dieses kleine Luder genau gewußt, was er tat,
davon war Sam fest überzeugt. Sie war schließlich mit ihm in die Läden
gegangen, und jetzt schob sie ihm die ganze Schuld zu. Nur ihretwegen
hatte man ihn aus dem warmen Nest geworfen und davongejagt. Das sollte
sie ihm büßen.
Er versteckte sich auf dem Weg, den sie immer zur Schule nahm
und suchte Schutz vor dem dünnen Nieselregen. Er haßte es zu frieren.
Ein Grund mehr, es ihr heimzuzahlen.
Stundenlang mußte er in der Kälte lauern, bis er sie endlich
erblickte. Den Rucksack über dem Rücken, schlenderte sie mit gesenktem
Kopf dahin. Er wartete, bis sie nahe genug herangekommen war.
Dann sprang er mit einem Satz auf sie zu und zerrte sie in
eine schmale Gasse. Roxanne hob instinktiv die Fäuste, um sich zu
wehren – und senkte sie wieder, als sie Sam erkannte.
Ihre Augen waren immer noch gerötet, aber sie schaute ihn
ruhig und mit einem gefährlichen Funkeln an.
»Was willst du?«
»Mich ein klein wenig mit dir unterhalten …«
Der gehässige Ausdruck auf seinem Gesicht war ihr so
unheimlich, daß sie am liebsten weggelaufen wäre. Er sah aus, als sei
er zu allem fähig.
»Daddy hat dir gesagt, daß du verschwinden sollst.«
»Meinst du etwa, ich hätte Angst vor so einem alten Knacker?«
Er gab ihr einen Schubs, daß sie gegen eine Mauer flog. »Ich tue, was
ich will, und im Moment will ich mit dir abrechnen, Roxy.«
»Was?« fuhr sie ihn an. Sie vergaß vor Überraschung den
Schmerz an ihrer Schulter. »Ich hab dich mit zu uns nach Hause
genommen. Ich habe Daddy gebeten, dir einen Job zu geben. Ich habe dir
geholfen, und du hast meine Freunde bestohlen. Was redest du da von
abrechnen?«
»Wohin willst du?« Er packte sie, als sie an ihm vorbeigehen
wollte. »Zur Schule? Heute nicht. Ich finde, du solltest mir etwas
Gesellschaft leisten.« Er legte eine Hand um ihren Hals. »Du hast mich
verpfiffen, Rox.«
»Nein«, stieß sie hervor. »Aber ich hätte es getan, wenn ich
es gewußt hätte.«
»Bleibt sich wohl gleich, was?« Erneut versetzte er ihr einen
Schubs, so daß ihr Kopf gegen die Mauer schlug – und heulte im
nächsten Moment auf, da sie ihm mit den Fingernägeln das Gesicht
zerkratzt hatte. Vor Schreck ließ er sie los.
Sie hatte fast das Ende der Gasse erreicht, ehe er sie
erwischte. »Du kleine Schlampe«, keuchte er und riß sie zu Boden. Trotz
seiner Schmerzen erfaßte ihn plötzlich eine merkwürdige Erregung. Er
konnte mit ihr machen, was immer er wollte, niemand würde ihn daran
hindern.
Benommen rappelte sie sich auf Hände und Knie hoch. Sie ahnte,
daß er etwas vorhatte, daß er sie nicht nur schlagen würde, und war
entschlossen, sich nach Kräften zu wehren. Doch das war gar nicht
nötig. Roxanne hatte ihn nicht kommen sehen. Luke stürzte sich mit
einem wütenden Aufschrei auf Sam.
Dann sah man nur noch Faustschläge. Ihre Beine zitterten, doch
sie schaffte es aufzustehen und schaute sich nach irgendeiner Waffe um.
Schließlich griff sich nach dem Deckel einer Mülltonne und lief zu den
beiden Kämpfern zurück.
Luke brauchte jedoch keine Hilfe. Er hockte mit gespreizten
Beinen auf Sam und schlug methodisch und gnadenlos auf ihn ein.
»Das ist genug!« Sie warf den Deckel zur Seite und hielt seine
Arme fest. »Hör auf, du bringst ihn sonst noch um, Luke! Daddy würde
nicht wollen, daß du dir die Hände verletzt.«
Ihre ruhige, sachliche Stimme brachte ihn wieder zur
Besinnung. Er betrachtete seine aufgerissenen und blutigen Knöchel und
mußte lachen. »Stimmt. Bist du in Ordnung?« Er war maßlos wütend über
die Sache mit Annabelle gewesen. Doch als er sah, wie Sam über Roxanne
herfallen wollte, war er regelrecht ausgerastet.
»Ja. Ich wollte ihn gerade in die Eier treten, aber trotzdem
danke, daß du ihn für mich verdroschen hast.«
»War mir ein Vergnügen. Hol deine Schultasche, und warte am
Bürgersteig auf mich.«
»Du willst ihn doch nicht noch weiter schlagen, oder?« Sie
musterte Sams Gesicht. Falls sie sich nicht irrte, war seine Nase
gebrochen, und er hatte einige Zähne verloren.
»Nein.« Er deutete mit dem Kopf zum Ende der Gasse. »Geh
schon, Rox. Ich komme gleich.«
Mit
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