Die Tochter des Magiers
einem letzten Blick auf Sam wandte sie sich um und ging
davon.
»Ich könnte dich dafür umbringen, daß du sie angefaßt hast.«
Luke beugte sich zu ihm hinab. »Und wenn du noch einmal in ihre Nähe
oder in die Nähe meiner Familie kommst, bringe ich dich wirklich um.«
Sam stützte sich mühsam auf die Ellbogen, als Luke aufstand.
Er hatte das Gefühl, als sei er von einem Laster überrollt worden. Sein
Gesicht brannte wie Feuer. Noch nie hatte jemand gewagt, ihn zu
schlagen.
»Das zahle ich dir heim«, krächzte er. Luke grinste nur
verächtlich.
»Kannst du gern versuchen. Nimm es als Gratislektion, Wyatt,
und mach dich davon, solange du noch fähig bist zu gehen. Das nächste
Mal breche ich dir nicht bloß die Nase.«
Als Luke verschwunden war, sank Sam mit schmerzverzerrtem
Gesicht zusammen. Sein Haß aber war noch größer geworden. Eine Tages,
gelobte er sich, eines Tages sollten sie alle dafür bezahlen.
VIERTES
KAPITEL
Paris, 1982
P aris im Frühling war herrlich, doch
Roxanne hatte im Moment keinen Sinn für die Schönheit dieser Stadt.
»Ich bin kein Kind mehr«, erklärte sie energisch.
»Das ist mir durchaus bewußt.« Max, dessen Haar im Laufe der
Jahre grau geworden war, goß ungerührt etwas Sahne in seinen starken
französischen Kaffee.
»Ich habe ein Recht darauf mitzukommen. Ich gehöre genauso
dazu.«
Max strich Butter auf sein Croissant, biß ein Stück ab und
betupfte sich die Lippen mit einer Serviette. »Nein«, erwiderte er
lächelnd und aß weiter.
Roxanne hätte am liebsten getobt vor Wut, aber damit würde sie
ihren Vater erst recht nicht überzeugen, daß sie inzwischen erwachsen
war und ihren Platz an seiner Seite einnehmen konnte.
Das Wohnzimmer ihrer großzügigen Suite im Ritz war wundervoll
eingerichtet. Roxanne wirkte wie geschaffen für eine solch luxuriöse
Umgebung, in ihrem weich fließenden Morgenrock aus Seide, mit den
dezenten Smaragden an ihren Ohren und dem geflochtenen Zopf, der über
ihren Rücken hing.
Doch sie sehnte sich von ganzem Herzen nach nächtlichen
Streifzügen durch dunkle Gassen und über rußige Dächer. Wenn sie doch
nur endlich ihren Vater überzeugen könnte, daß es jetzt an der Zeit
war, sie mitzunehmen.
»Daddy …«, schmeichelte sie lächelnd. »Ich verstehe
ja, daß du mich nur beschützen willst.«
»Die wichtigste Aufgabe aller Eltern.«
»Das ist lieb von dir. Aber du muß mich auch erwachsen werden
lassen.«
Er schaute sie an und seufzte wehmütig. »Trotz aller mir zur
Verfügung stehenden magischen Tricks wird sich das nicht verhindern
lassen.«
»Ich bin bereit«, versicherte sie eifrig und nahm seine Hand.
»Schon lange. Ich bin genausogut wie Luke …«
»Du hast keine Ahnung, wie gut Luke ist.« Max tätschelte ihr
die Hand und frühstückte weiter. Wie oft hatten sie schon diese
Diskussion geführt, seit sie im zarten Alter von vierzehn verkündet
hatte, daß sie jetzt auch bei seinen nächtlichen Unternehmungen
mitmachen wollte. Dabei hatte er bis dahin keine Ahnung gehabt, daß sie
überhaupt davon wußte. Roxannes Blick wurde eisig, und Max mußte ein
Lachen unterdrücken.
»Selbst wenn er noch so gut ist«, erklärte sie, »kann ich noch
besser sein.«
»Es handelt sich nicht um einen Wettbewerb, meine Liebe.«
Und ob, dachte Roxanne. Sie sprang auf und lief wieder durch
das Zimmer. Seit Jahren war es ein Wettkampf, und zwar ein äußerst
verbissener. »Es liegt nur daran, weil ich kein Mann bin«, stieß sie
bitter hervor.
»Das hat nichts damit zu tun. Solche albernen Vorurteile kann
mir sicher niemand vorwerfen.« Max schob seufzend seinen Teller
beiseite. »Du bist einfach noch zu jung, Roxy.« Etwas Schlimmeres hätte
er gar nicht sagen können. »Ich bin fast achtzehn«, fuhr sie auf. »Wie
alt war er denn, als du ihn das erste Mal mitgenommen hast?«
»Viel älter – wenn auch nicht unbedingt an Jahren,
aber innerlich. Roxanne, ich möchte, daß du aufs College gehst und all
das lernst, was ich dir nicht beibringen kann. Daß du dich erst einmal
selbst entdeckst.«
»Ich weiß längst, wer ich bin.« Herausfordernd straffte sie
die Schultern, und Max sah sie plötzlich als die erwachsene Frau, die
sie einmal sein würde. Sein Stolz überwältigte ihn beinah. »Du hast mir
alles beigebracht, was ich wissen muß.«
»Nicht annähernd genug«, erklärte er ruhig. »Lily und ich
haben dich sehr behütet, vielleicht zu sehr, und nun möchten wir, daß
du einen Schritt in die Selbständigkeit machst,
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