Die Tochter des Magiers
einiger Zeit hatte er sich bei einem Auftritt die Nase
gebrochen – und war ein wenig enttäuscht gewesen, als der
Bruch so gut verheilt war, daß man nichts mehr davon sehen konnte.
Mit seinen einundzwanzig Jahren hatte er seine volle
Körpergröße von 1,85 m erreicht und war auch innerlich reifer geworden.
Es geschah nur noch selten, daß die alten Ängste, die ihn während der
Kindheit so oft gequält hatten, in ihm aufflackerten. In den Jahren mit
Max hatte er gelernt, sich zu beherrschen und seine Gefühle unter
Kontrolle zu halten, wofür er mehr als dankbar war.
Und mit der nötigen Willenskraft würde er im Lauf der Zeit
auch seine Gefühle für Roxanne überwinden.
Er wandte sich vom Spiegel ab und verließ das Zimmer. Auf dem
Weg zum Lift begegnete ihm ein hübsches blondes Zimmermädchen, das
einen Wagen durch die Gänge schob. Offenbar wollte sie zusätzliche
Handtücher verteilen und die üblichen Betthupferl auf die Kissen legen.
Luke hatte sich inzwischen derart an solche Annehmlichkeiten gewöhnt,
daß er sie kaum noch wahrnahm.
» Bonsoir «, grüßte
er mit einem flüchtigen Lächeln.
» Bonsoir ,
Monsieur.« Schüchtern wandte sie den Blick ab und klopfte an
eine Tür auf der anderen Seite des Flurs. Luke war schon fast bei den
Fahrstühlen, als er abrupt stehenblieb. Dieser Duft – das war
doch Roxannes Parfüm. Oder war er so durcheinander, daß er sie schon
überall roch? Langsam drehte er sich um und musterte das Zimmermädchen,
das gerade mit ihrem Hauptschlüssel die Tür öffnete.
Diese Beine, diese langen schlanken Beine unter dem schwarzen
Rock – das war Roxanne!
Sie wollte soeben leise die Tür hinter sich schließen, als er
sich mit einer Hand dagegen stemmte. »Was zur Hölle treibst du hier?«
Mit Unschuldsmiene schaute sie ihn an. »Pardon?«
»Laß das, Roxanne. Was hast du vor?«
»Halt's Maul«, zischte sie wütend, packte seinen Arm und zog
ihn hinein. »Woher wußtest du, daß ich es war?«
Er konnte ihr schlecht sagen, daß er ihre Beine überall
erkannt hätte. Also log er. »Meinst du etwa, du könntest irgend
jemanden mit dieser Aufmachung zum Narren halten?« In Wirklichkeit war
die Verkleidung perfekt. Durch die freche blonde Kurzhaarperücke wirkte
sie völlig fremd, und selbst ihre Augenfarbe war – offenbar
dank brauner Kontaktlinsen – eine andere. Mit Hilfe eines
geschickten Make-ups hatte sie den Ton ihrer Haut und ihre Gesichtsform
verändert, hatte ihre Hüften ein wenig ausgepolstert und trug einen
dieser raffinierten Büstenhalter, die nach Lukes Ansicht verboten
werden müßten, da sie derart aufreizend die weibliche Anatomie zur
Geltung brachten, daß jeder Mann Stielaugen bekam.
»Mist«, fluchte sie leise. »Ich habe zehn Minuten bei Lily im
Zimmer verbracht, ohne daß sie mich erkannt hat.«
Weil sie nicht seit zwei Jahren beim Anblick deiner Beine auf
dumme Gedanken kommt, dachte er.
»Ich bin jedenfalls nicht auf diese
Maskerade reingefallen. Also, was zur Hölle machst du hier?«
»Ich klaue Mrs. Melvilles Schmuck.«
»Den Teufel wirst du tun.«
Sie funkelte ihn böse an. Unverkennbar Roxanne, dachte Luke,
trotz der braunen Augen. »Laß mich in Ruhe. Ich bin jetzt einmal hier
drin und gehe bestimmt nicht mit leeren Händen raus. Ich habe alles
genau geplant, und du wirst mir die Sache nicht vermasseln.«
»Und was machst du, wenn Mrs. Melville nach den gendarmes schreit?«
»Dann bin ich natürlich genauso erschrocken und wütend wie
alle anderen im Hotel.« Sie drehte sich um und ging direkt zur Kommode.
Ehe sie die Schubladen öffnete, zog sie ein Tuch aus ihrer Tasche, um
keine Fingerabdrücke zu hinterlassen.
»Glaubst du etwa, sie hat das Zeug einfach so in einer
Schublade herumliegen?« schnaufte er spöttisch. »Das Ritz hat dafür
Safes.«
Roxanne warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Dort bewahrt
sie ihren Schmuck aber nicht auf. Ich habe gehört, wie sie deswegen
neulich abends mit ihrem Mann gestritten hat. Sie will ihren Schmuck
lieber zur Hand haben, damit sie freie Auswahl hat, wenn sie sich
abends anzieht.«
Nicht schlecht, dachte Luke. Sehr gut sogar. »Und was machst
du, wenn einer von ihnen hereinkommt, während du hier herumstöberst?«
»Ich stöbere ja nicht herum.« Rasch schloß sie die Schublade.
»Ich bin hier, um das Bett fertigzumachen. Und was hast du für eine
Ausrede?«
»Okay, Rox. Genug ist genug.« Er packte ihren Arm. »Wir haben
das Ding in Chaumet seit Monaten geplant. Ich lasse
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