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Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Titel: Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Downer
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seiner Erregung hatte er den Kagoshima-Dialekt abgelegt. Als sie ihn wie einen Tokyoter sprechen hörte, fiel Taka ein, wo sie ihn schon einmal gesehen hatte. Er war einer der jüngeren Offiziere der kaiserlichen Garde gewesen und zu ihnen ins Haus gekommen, als ihr Vater Mitglied des Staatsrates und Kommandeur der Garde gewesen war. Damals war sie noch ein Kind, aber es hatte ihr sehr gefallen, diese feschen jungen Männer in ihren schicken Uniformen zu beobachten, wenn sie im Garten auf und ab gingen und darüber diskutierten, wie das Land zu führen sei. Sie waren so vollkommen anders als Eijiro und seine leichtlebigen Freunde. Die meisten waren aus der Garde ausgeschieden, als ihr Vater zurücktrat, und hatten ihn, wie viele andere Satsuma auch, nach Kyushu begleitet. Dieser junge Mann musste unter ihnen gewesen sein.
    Einen von ihnen hatte sie ganz besonders faszinierend gefunden. Er war groß, eher reserviert und schien sich von den anderen fernzuhalten. In ihm hatte sie die rechte Hand ihres Vaters erkannt. Er war stets an seiner Seite, und wenn ihr Vater etwas zu erledigen hatte, rief er ihn zu sich.
    In jener Zeit war sein Haar kurz geschnitten im westlichen Stil, und er hatte eine Uniform mit Goldtressen, glänzenden Knöpfen und einem roten Streifen am Hosenbein getragen. Sie musterte den Mann vor ihr in seiner dicken Jacke, den Beinlingen und dem Schwert, das bedrohlich unter seinen Röcken hervorragte. Im schwachen Licht der Steinlaternen vor dem Schrein erkannte sie das scharf geschnittene Kinn und die hohen Wangenknochen, und ihr wurde bewusst, dass es dasselbe Gesicht war, das sie aus der Ferne bewundert hatte.
    Er sah jünger aus, als sie gedacht hatte, gewöhnlicher, nicht mehr so männlich, würdevoll und von prächtiger Größe, doch er war es trotz allem. Ihr Herz setzte kurz aus. Sie verspürte eine seltsame Mischung aus Enttäuschung und Erregung, gleichzeitig aber auch einen Anflug von Erleichterung, weil er nicht wusste, was ihr durch den Kopf ging oder dass sie ihn je zuvor bemerkt hatte.
    Sein Blick ruhte weiter auf ihrem Gesicht. Sein Ausdruck wurde weicher, und er verbeugte sich militärisch-zackig. Auch er hatte sie erkannt, obwohl sie eine pausbäckige Dreizehnjährige gewesen war, als er sie zuletzt gesehen hatte.
    »Ich gehörte zur kaiserlichen Garde in Tokyo, gnädige Frau. Wir sind Ihrem Vater alle sehr ergeben. Diese Schakale in Tokyo sind darauf aus, Ihren Vater und alles, wofür er steht, zu zerstören. All diese Macht ist ihnen zu Kopf gestiegen. Wir müssen sie zum Wohle des Landes beseitigen.«
    Er scharrte mit dem Fuß. Auch er trug Strohsandalen, wie all die Männer. Eine Möwe kreischte, und Wellen schlugen ans Ufer der Bucht, die ein paar Straßen entfernt lag. Ein bedrohliches rotes Glühen erhellte die Wolken über dem Vulkan. Die Augen des Leibwächters funkelten in der Dunkelheit. »Verzeihen Sie mir die Dreistigkeit, gnädige Frau. Darf ich fragen – ist Ihre Mutter bei guter Gesundheit?«
    »Meine Mutter?« Die Frage verblüffte sie. Taka verbeugte sich. »Ja, vielen Dank.«
    »Ich habe sie in Kyoto tanzen sehen.« Er sprach leise, zögernd. »Sie war schön, so wunderschön. Ihr Gesicht hat geleuchtet. Damals war ich noch ein Junge, aber ich habe es nie vergessen.« Männer kamen vorbei, auf dem Weg zu den Geisha-Häusern auf der anderen Seite der Kreuzung. Sie achteten nicht auf die beiden Gestalten in den dicken Jacken und Schals vor dem Schrein. »Ich erinnere mich auch an Sie, gnädige Frau, und an Ihre Schwester, zwei kleine Mädchen, die Getränke servierten, sehr ernst. In dem großen Haus in Tokyo habe ich Sie ebenfalls gesehen und gedacht, das müssen die Töchter des Generals sein. Verzeihen Sie die rauen Manieren eines Soldaten, gnädige Frau«, fügte er hastig hinzu. »Ich wollte nicht respektlos sein. Ich bin die Gesellschaft feiner Damen wie Sie nicht gewöhnt.«
    Taka lachte. Er war alles andere als ein rauer Soldat. Zu jeder anderen Zeit hätte sie sich vielleicht über die allzu große Vertraulichkeit mokiert, aber nicht in dieser Nacht. Seine Freunde betranken sich, vergaßen ihre Sorgen in den Armen der Geishas von Kagoshima. Auch er hatte ein wenig Freundlichkeit verdient.
    Sie wusste, sie sollte weitergehen, doch sie genoss das verbotene Vergnügen, allein mit einem Mann zu sein – nicht nur mit irgendeinem, sondern mit diesem Mann, den sie als Kind angehimmelt hatte. Ihr fiel ein, dass ihr Vater gesagt hatte, sie solle sich unter seinen

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