Die Tochter des Teufels
nennt mich mit einem Kosenamen. Zum erstenmal nach vier Jahren. Über sein staubiges Gesicht zuckte es.
»Ich werde fliegen, Nadja Grigorijewna. Ich werde …«
Und es gelang. Eine halbe Stunde später hielt vor der kleinen weißen Villa am Bois de Boulogne ein alter schwarzer Wagen, ein Chauffeur in der malerischen Uniform eines Tscherkessen, aber mit langem, herabhängendem tatarischem Schnurrbart, sprang heraus und riß die Tür auf, und ein kleines altes Männlein mit schlohweißem Haar und einem ebenso weißen langen Bart hüpfte auf den gepflasterten Hof. Saparin, der schon vorher eingetroffen war, kam aus der Küchentür. Hinter ihm erschien der neugierige Kopf des Oberstabsarztes.
»Kommen wir zu spät?« fragte Professor Podolskij. Eine hohe Greisenstimme hatte er, und er sprach nur Russisch. Saparin hob die Schultern.
»Wer weiß das, Wladimir Diogenowitsch? Noch lebt er.«
»Na, dann sehen wir einmal nach.« Professor Podolskij blieb stehen und sah kurz auf Gabriel, der noch immer an seinem Wagen lehnte. Seine Augen waren vom Weinen gerötet und verschwollen. »Sie sind der Schütze, nicht wahr?«
»Ja …«, stammelte Gabriel.
»Man sagte mir, es ging um Nadja Grigorijewna Gurjewa, die Tochter Rasputins?«
»Ja.«
»Idioten seid ihr alle! Alle! Ihr habt Rasputin nicht gekannt!« Podolskij sprach jetzt ein hartes, mühsames Französisch. »Wenn seine Tochter so ist wie er, gibt es keinen, dem sie gehört!« Er wandte sich ab und betrat die Küche.
Nadja stand neben dem Tisch und hielt Stanislas' Hände. Er war aus seiner tiefen Ohnmacht erwacht und sah sie an, aber er war zu schwach, um zu sprechen.
Professor Podolskij zog seine Jacke aus und warf sie seinem Chauffeur in der Tscherkessenuniform zu. Der Mann fing sie auf und faltete sie zusammen. Dabei starrte er Nadja wie einen Geist an und schnaufte durch die Nase.
»Ist das möglich!« sagte er dann, und Podolskij drehte den Kopf verwundert zu ihm. »Nadja Gurjewa …!« Er legte die Jacke auf einen Stuhl und kam mit krummen Beinen und wiegendem Schritt näher. Und da erkannte ihn auch Nadja. Ein mattes Lächeln glitt über ihr bleiches Gesicht.
»Ja. So sehen wir uns wieder …«
»Sie kennen sich?« fragte Saparin.
»Ja. Das ist Sergej Kubulai! Als Ataman führte er eine Kosakenabteilung der Weißen. Damals, südlich Tjumen, hat er Nikolai und mir das Leben gerettet.«
Kubulai, der wilde Reiter aus der Steppe, nun in Paris Chauffeur und Kammerdiener von Professor Podolskij, griff an seine Brust.
»Ich habe sie immer noch bei mir«, sagte er ergriffen. »Erinnern Sie sich, Nadja Grigorijewna … die Ikone von Väterchen Grigori. Glück hat sie mir gebracht. Ich bin den Roten entkommen, ich konnte ein Schiff finden, ich kam nach Paris. Und nun …«
»Nun reden wir herum!« rief Professor Podolskij mit seiner hellen Stimme. Er stand am Küchentisch, über Stanislas gebeugt, hielt dessen Handgelenk und zählte den kaum wahrnehmbaren Pulsschlag. »Die Kugel sitzt unterm Herzen?«
Diese Frage galt dem französischen Kollegen. Der Oberstabsarzt trat an den Tisch.
»In der Herzspitze. Ja.«
»Machen wir auf.«
»Das ist doch Wahnsinn, Herr Professor! Ohne Unterdruckkammer …«
»Es ist seine einzige Chance! Warten wir, stirbt er bestimmt. Warten wir nicht und machen auf, kann er sterben. Dieses kann ist wichtig, nur das allein! Sergej?«
Kubulai, der Kosaken-Ataman, trat vor wie auf dem Kasernenhof. »Wladimir Diogenowitsch?«
»Das große Besteck.« Podolskij sah sich um. »Heißes Wasser da?«
»Genug …«, ließ sich General de Polignon vernehmen.
Podolskij beugte sich über Stanislas. Er war noch wach, wenn auch die Augen trübe wurden und nach hinten sanken. »Können Sie mich hören und verstehen?« fragte Podolskij.
Stanislas' Kopf bewegte sich kaum merklich. Es sollte ein Nicken sein.
»Vielleicht werden Sie sterben«, sagte Podolskij ehrlich. »Vielleicht rette ich Sie. Kommen Sie mit Ihrem Gott ins reine, Monsieur … es bleiben ein paar Minuten.«
Kubulai kam mit einem Koffer und klappte ihn auf. Schimmerndes chirurgisches Besteck lag auf weißen Mullkompressen. Podolskij krempelte die Ärmel seines Hemdes hoch, ging zu einer Schüssel und begann Hände und Unterarme einzuseifen. Der Oberstabsarzt zögerte, dann trat auch er an eine bereitstehende Schüssel und begann die gleichen Waschungen. Nadja saß wieder neben Stanislas und hielt seine Hände. Sie weinte nicht; der Schmerz war so groß, daß alles in ihr
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