Die Tochter des Teufels
stieg in seinen alten Wagen, und Kubulai, der ehemalige Kosaken-Ataman, warf den Schlag zu und rannte um das Auto herum zum Steuer.
In der Küche versuchten General de Polignon und der Oberstabsarzt, Nadja von dem toten Körper wegzuziehen. Sie krallte sich an ihm fest, und erst Saparin gelang es, sie zur Vernunft zu bringen.
»Nadja Grigorijewna«, sagte er zärtlich. »Sie haben Helena versprochen, mit ihr an diesem Morgen zum Rennplatz zu gehen. Helena ist fertig und wartet auf Sie. Sie freut sich so auf die Pferde …«
Nadja nickte und erhob sich. Noch einmal sah sie Stanislas in das nun schrecklich leere Gesicht, dann wandte sie sich abrupt ab und verließ die Küche.
Während der folgenden Wochen gab es keine Ruhe.
René Stanislas wurde auf dem Friedhof von St. Cloud beigesetzt, in einer marmornen Familiengruft, die er sich zu Lebzeiten hatte bauen lassen, weil er dieses St. Cloud liebte seit seinen Kindertagen, als er in dem riesigen Park und den lichten Wäldern gespielt hatte. Dann begann für Nadja ein Kampf, dem sie nicht gewachsen war. Wenn es darum gegangen wäre, Mut zu zeigen, mit der Waffe in der Hand zu streiten, Opfer zu bringen und unerhörte Stärke zu zeigen wie damals in Sibirien, Nadja hätte gekämpft wie eine Wölfin, und sie hätte gesiegt wie immer. Aber hier war es ein stiller, verbissener, heimtückischer Kampf. Mit Paragraphen und Gesetzen wurde geschossen, mit Gutachten und Obergutachten, mit bestochenen Zeugen und gefälschten Beweisen.
Es begann damit, daß schon gleich nach dem Begräbnis – an dem Nadja nicht teilnahm, weil sie es nicht übers Herz brachte, Stanislas in die Erde versinken zu sehen – eine Kolonne Autos vor die kleine weiße Villa fuhr und ein Heer schwarzgekleideter Menschen sich in das Haus ergoß.
Zuerst war es der Vater Renés, der Reeder Marcel Stanislas aus Brest, der zu Nadja ins Zimmer kam. Er klopfte nicht an, er trat einfach ein und musterte Nadja, wie man eben eine Hure mustert, die ausgedient hat und nun auf eine Abfindung wartet, um endlich gehen zu können. Die andere Verwandtschaft wartete unterdessen im Salon. Man hörte ihr Stimmengewirr durch alle Decken und Türen.
»Ich glaube, ich erweise meinem Sohn einen Gefallen, wenn ich Ihnen zehntausend Francs übergebe«, sagte Marcel Stanislas steif und holte einen ausgeschriebenen Scheck aus der Tasche. Er legte ihn auf einen Rokokotisch und wartete auf eine Antwort.
Nadjas Lippen waren zusammengepreßt zu einem Strich. Sie nahm den Scheck und zerriß ihn schnell in kleine Schnipsel, die sie Marcel Stanislas vor die Füße warf.
»Wie Sie wollen! Ich schreibe nicht noch einmal einen Scheck aus. Also gehen Sie ohne Abfindung!« Marcel schob die Papierfetzen mit der Schuhspitze weg. »Mein Chauffeur wartet. Ich nehme an, Sie haben nicht viel persönliches Eigentum, und das Packen geht schnell. Kann ich noch etwas für Sie tun?«
Marcel wartete. Er vermied das Wort Madame, er vermied überhaupt jede Anrede, und das ist das Unhöflichste, was ein Franzose zu bieten hat. Nadja nickte kurz.
»Ja!« sagte sie laut. »Gehen Sie! Sie und Ihre Verwandtschaft. Ich bleibe!«
»Ist das nicht ein Irrtum?« Marcel lächelte mokant. »Ihre Aufgabe hat sich erledigt. Mein Sohn lebt nicht mehr.«
»Ich bin Besitzerin dieses Hauses«, sagte Nadja hart. »René hat es mir geschenkt.«
»Ich nehme das nicht zur Kenntnis. Sie lügen.«
»Bitte.« Nadja hielt ihm ein Blatt Papier hin. Es war die schriftliche Schenkungsurkunde. »›Ich habe von meinem Vater gelernt, wichtige Dinge schriftlich zu geben‹, hat René gesagt, als er diesen Brief schrieb.«
Über das Gesicht Marcels zuckte es, aber dann setzte er wieder die hochmütige Maske eines Mannes auf, unter dessen Würde es ist, Schmutz anzufassen. Mit spitzen Fingern nahm er das Schreiben aus Nadjas Hand, las es gar nicht durch, sondern zerriß es wortlos.
»Es gibt keine Schenkung!« sagte er dann fest.
»Was Sie zerrissen haben, war eine Kopie«, sagte Nadja ebenso kalt. Auf diese Stunde hatte sie sich vorbereitet. Saparin hatte sie gewarnt.
»Und das Original?« fragte Marcel heiser.
»Liegt bei meinem Anwalt!«
»Madame …« Zum erstenmal sprach er sie an. Marcel Stanislas war klug genug, um zu wissen, daß jetzt nicht Härte, sondern nur noch Verhandeln einen Sinn hatte. Und war das Verhandeln nicht erfolgreich, gab es einen langen, zähen Kampf, den der gewann, der die besten Anwälte und das meiste Geld für alle Instanzen und rechtlichen
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