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Die Tochter des Teufels

Die Tochter des Teufels

Titel: Die Tochter des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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widerfahren war. Er dürstete nach Rehabilitierung wie ein Wüstenwanderer nach Wasser.
    In Wladiwostok wohnten Gurjew und Nadja drei Tage in einer billigen Herberge, bis sie endlich ein Zimmer in einem dreistöckigen Haus fanden. Unten war ein Laden, im ersten Stockwerk wohnte der Advokat Karagin, im zweiten der Importeur Waganow, im dritten der Schneider Klobkow, und ihm gehörte auch die Bodenkammer, die Gurjew mietete. Ein Holzverschlag mit einem Bett, einem wackeligen Schrank, einem eisernen Waschtisch und einem Klappfenster. Wasser gab es im Flur, die Toilette war eine Etage tiefer. »Ein Luxuszimmer, Bruder!« sagte der Schneider Klobkow und hielt die Hand hin, in die Gurjew dreißig Rubel für einen Monat Miete zahlte. »Du hast es gesehen. Die Stadt ist voll von Flüchtlingen. Und jetzt kommt auch noch der Winter, da kann niemand mehr in den Parkanlagen übernachten. Man sollte fünfzig Rubelchen geben, Freundchen.«
    Und Gurjew zahlte fünfzig Rubel für einen zugigen Holzverschlag, direkt unter dem Dach.
    »Einen Vorteil hat das Zimmer«, sagte er zu Nadja. »Es liegt genau gegenüber dem Krankenhaus. Wenn es soweit ist, Nadjuscha, kann ich dich auf meinen Armen hinübertragen.«
    In den kommenden Wochen sah sich Gurjew in Wladiwostok um und hatte es bald heraus, wo man gute Geschäfte machen konnte. Er strich an den Kais umher, beobachtete die einlaufenden Schiffe und hielt sich vor allem an die Amerikaner. Wenn die Touristen an Land gingen, und es gab tatsächlich Vergnügungsreisende, obgleich es noch Krieg war, machte sich Gurjew an sie heran und begrüßte sie mit einem guten Englisch. Er zog die Mütze, ein sonniges Lächeln glitt über sein feines Gesicht, und vor allem die Amerikanerinnen betrachteten ihn wohlwollend und atmeten schneller.
    »Willkommen im ewigen Rußland!« sagte Gurjew etwa. »Atmen Sie tief ein, Mylady … dieser Wind kommt aus dem unendlichen Sibirien, wo der Bär durch den Urwald bricht und der Tiger vor den Holzhütten brüllt!« Das war natürlich Unsinn, denn der Wind wehte von Japan herüber oder von Sachalin, aber die Amerikanerinnen gaben wenig auf die Richtung. Sie bewunderten die schwarzen Haare Nikolais, seine schlanken, kräftigen Hände und seine muskulöse Figur.
    An diese Amerikanerinnen verkaufte Gurjew im Lauf der Wochen neun Steine … zwei Brillanten, drei Saphire und vier Smaragde. Er nahm Phantasiepreise, nannte sie in Dollar, und die verzückten Amerikanerinnen zahlten sie. »Ein Stein aus dem Nachlaß der Zarin! Oh, very nice!«
    Bei einem Geldwechsler tauschte Gurjew die Dollar in Rubel um. Sie wurden gut umgerechnet, denn nichts gab es auf der Welt, was eine härtere Währung hatte als der Dollar.
    »Viertausend Rubel haben wir!« sagte er eines Tages zu Nadja. Sie hatte alles für den großen Tag gepackt. In Bündeln, mit Bändchen umschnürt, lagen die Windeln, Jäckchen und Wickeltücher bereit. Drei lange Nachthemden aus feinstem Leinen hatte sie sich auf der Maschine von Schneider Klobkow genäht. »Viertausend Rubel, Nadjuscha! Und nur neun Steine habe ich verkauft.«
    »Wir werden es brauchen, Niki.« Nadja saß an dem kleinen runden Eisenofen, den Klobkow ihnen in den Verschlag gestellt hatte, als es kalt wurde. »Ich habe mit dem Arzt gesprochen. Ein Bett kostet pro Tag fünfundzwanzig Rubel! Er ist bereit, mir ein Bett zu geben, wenn du vierzehn Tage im voraus bezahlst.«
    »Halsabschneider, alle sind Halsabschneider!« rief Gurjew.
    Aber am nächsten Tag ging Gurjew doch zu dem Arzt, der die Kreißstation des Krankenhauses leitete, war höflich und bescheiden, legte dreihundert Rubel für das Bett auf den Tisch und noch einmal dreihundert Rubel extra. »Ich möchte, daß es Nadja Grigorijewna an nichts fehlt, Doktor«, sagte er. »Das beste Essen, die beste Betreuung, Ihre ganze ärztliche Kunst …«
    Der Arzt strich die Rubel ein, gab Gurjew die Hand und sagte: »Mein Herr, Sie können beruhigt sein. Ihre Gattin wird wie eine Großfürstin behandelt werden.«
    Zufrieden verließ Gurjew das Krankenhaus.
    In der Nacht zum 15. November krümmte sich Nadja neben Nikolai im Bett. Sie stöhnte, preßte die Hände gegen den Leib und begann zu zittern.
    Gurjew sprang auf, wickelte Nadja in eine Decke und dann in seinen Wolfspelz, hängte sich an Lederschnüren zwei Taschen mit den Windeln, Hemdchen, Jäckchen und Tüchern um den Hals, nahm Nadja auf seine starken Arme und trug sie über die vereiste Straße zum Krankenhaus und dort, an einer

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