Die Tochter des Teufels
Unterlippe vor. Seine Augen glitzerten. »Die Garde stirbt aufrecht, nicht wahr? Gut denn! Hören Sie zu. Admiral Koltschak hat auf mein Telegramm geantwortet. Er überläßt es mir, was zu tun ist! Er hat andere Sorgen, als sich um einen Gurjew zu kümmern! Ich begnadige Sie, Gurjew. Was nützt mir ein toter Versager?« Karsanows Stimme wurde lauter. »Ich begnadige Sie zu Zwangsarbeit auf Lebenszeit! Sie werden in Sibirien Wälder roden, Bahngleise bauen, Holz sägen, Fabriken errichten. Sie werden arbeiten, bis Sie umfallen! Das wollten Sie doch … das Leben …«
Gurjew nickte. Der Hals war ihm wie zugeschnürt. »Ich danke Ihnen, Euer Gnaden«, sagte er tief atmend. »Ich glaube an die Gerechtigkeit.«
Karsanow kaute an der Unterlippe. »Sie ziehen gleich die Uniform aus. Man wird Ihnen andere Kleidung bringen. Von jetzt an sind Sie kein Mensch mehr, sondern eine Arbeitskraft.« Er ging zur Tür, blieb dort stehen und wandte sich noch einmal um. »Soll ich Ihnen nicht doch einen Revolver geben, Gurjew?«
»Nein. Jetzt nicht mehr, Euer Gnaden.«
»Sie wissen nicht, was Sie erwartet.«
»Das Leben, Euer Gnaden.«
»Sie werden es verfluchen!«
Mit einem dumpfen Knall fiel die Tür zu.
Als Nikolai am zweiten und am dritten Tag nicht ins Krankenhaus kam, um Nadja und sein Kind zu besuchen, wurde Nadja unruhig. Sie durfte noch nicht aufstehen, aber wenn sie allein war, schob sie sich aus dem Bett und wankte auf wackeligen Beinen zum Fenster. Von hier konnte sie hinüber zum Haus sehen, genau in die Schneiderwerkstatt Klobkows, der nur bei offenen Gardinen arbeitete. Von Nikolai sah sie nichts …
Am vierten Tag hielt es Nadja nicht mehr in ihrem Zimmer aus. Schwester Nastja, die sie dreimal hinübergeschickt hatte, kam stets mit dem gleichen Bescheid zurück: »Im Zimmer meldet sich niemand.« Beim vierten Gang aber lüftete sich das Geheimnis ein wenig. »Der Schneider Klobkow«, berichtete Nastja, »hat beobachtet, daß Nikolai Georgijewitsch in einer Offiziersuniform das Haus verlassen hat. Seitdem ist er nicht wiedergekommen.«
An diesem Tag gab es eine heftige Auseinandersetzung mit dem Arzt. Er weigerte sich, Nadja zu entlassen …
»Auf Ihre Verantwortung, Nadja Grigorijewna!« schrie er, als Nadja ihre Sachen packte und die winzige Helena auf den Arm nahm. »Sie sind noch zu schwach, das Kind braucht Pflege, es kann Komplikationen geben, Vergiftungen, Nachblutungen, Infektionen … ich lehne jede Verantwortung ab!«
Schneider Klobkow empfing Nadja mit vielen Verbeugungen. Er wollte das Kindchen bewundern und Loblieder auf dessen Schönheit anstimmen, aber Nadja unterbrach ihn schroff.
»Wo ist Nikolei Georgijewitsch?« fragte sie. Klobkow kratzte sich den Kopf. Immer diese unangenehmen Fragen.
»Er ging vor fünf Tagen weg, Madame«, antwortete er. »In Uniform! Ein herrlicher Anblick! Ein Held! Ich träume noch jetzt davon …«
»Warum hat mir keiner gesagt, daß Nikolai weggegangen ist?«
»Konnten wir ahnen, daß Madame nicht unterrichtet waren?«
»Und wo ist Nikolai hingegangen?«
»Wer hätte es gewagt, ihn danach zu fragen …?«
Das war am Vormittag. Bis zur Mittagszeit saß Nadja auf dem Bett in ihrer Kammer und sah mit leeren Augen gegen die Wand. Sie wickelte das Kind, gab ihm zu trinken und ging dann ruhelos hin und her. Eine ungeheure Entscheidung rang sie sich ab. Im Kleiderschrank, zusammen mit den weggeworfenen Zivilkleidern Gurjews, hatte sie eine Zeitung gefunden. Auf der ersten Seite stand der Aufruf Koltschaks an alle Offiziere: Helft mit, Rußland vor der roten Flut zu retten! Es gab keinen Zweifel mehr, wohin Nikolai gegangen war.
Die Familie Klobkow saß gerade am Mittagstisch und aß Blintschikis, das sind Pasteten, gefüllt mit Fleisch, weißem Käse und Kartoffeln, als Nadja mit dem Säugling auf dem Arm eintrat.
»Ich muß Nikolai suchen«, sagte sie ohne Einleitung. »Sie werden das verstehen, Klobkow.« Klobkow nickte, obgleich er nicht verstand, aber man war ein höflicher Mensch. »Können Sie Helena solange pflegen?«
Klobkow machte ein saures Gesicht. Wer selbst genug Kinder hat, die aus dem Gröbsten heraus sind, kennt die Abneigung, wieder mit einem Säugling zu beginnen.
»Wie lange?« fragte er.
»Ich weiß es nicht.« Nadja griff in die Tasche und legte ein Bündel Scheine auf den Tisch. Die Miene Klobkows hellte sich auf. »Es sind tausend Rubel, Klobkow. Umsorgen Sie Helena wie Ihr eigenes Kind. Ich bitte Sie … ich flehe Sie an …«
»Ich
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