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Die Tochter des Teufels

Die Tochter des Teufels

Titel: Die Tochter des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dem Westen. »Er muß hier durch!« sagte der mürrische Bahnwärter grob, als Gurjew fragte, ob das wirklich die richtige Strecke sei. »Das ist Vorschrift. Hier tanken sie neues Wasser! Warte also, Freundchen … vertreibe dir die Zeit mit deinem schönen Weibchen …«
    Am sechsten Tag weckte gegen sechs Uhr morgens der Bahnwärter Nadja und Nikolai. »Auf! Auf!« schrie er. »Er kommt! Ein langer Zug ist's, direkt aus Moskau. Der Expreß! Fährt quer durch die Roten und die Weißen – Diplomaten aus Amerika und Frankreich sind in den Wagen. Ein sicherer Zug.«
    »… bis Wladiwostok …«, sagte Gurjew leise. Das Glück war schier unfaßbar. »Sag, Brüderchen … er fährt durch bis zum Japanischen Meer.«
    Und so war es.
    Der berühmte Transsibirische Expreß mit den Diplomaten aus Amerika und Frankreich hielt auf der winzigen Station Tschubilaisk und nahm frisches Wasser in die Tanks. Offiziere vertraten sich die Beine auf dem staubigen Platz vor der rosa Hütte, die Kinder des Bahnhofvorstehers verkauften Kränze aus Lärchen und Tannenzapfen, der mürrische Vorsteher bekam Post und Zeitungen und begrüßte bekannte Kollegen im Zug wie lang entbehrte Geliebte mit Küssen und Umarmungen … für eine Stunde war der Steppenort Tschubilaisk umweht vom Atem der großen Welt.
    Als friedliche Reisende bestiegen Gurjew und Nadja einen der Wagen und hatten gleich einen Streit mit dem Wagenkontrolleur.
    »Das ist kein Kameltransport!« schrie der Kondukteur und riß die Tür wieder auf. »Hinaus! Ihr beleidigt die normalen Menschen!«
    »Du bist ein besoffener Idiot, Brüderchen!« schrie Gurjew zurück und wedelte mit einigen Rubelscheinen vor der Nase des Beamten. »Ich bezahle, will mit meinem Weibchen nach Wladiwostok, und ich bin ein Mensch wie alle anderen auch! Wenn die Herren aus dem Westen reisen und bezahlen dafür, so reise ich auch, wenn ich bezahlen kann! Oder verachtest du das Menschenrecht, Genosse?«
    Der Kondukteur zog den Kopf ein. Menschenrecht, Genosse … das klang gefährlich.
    »Die Abteile sind besetzt!« sagte er. »Aber im Gepäckwagen räume ich eine Ecke aus. Wenn es recht ist …«
    Gurjew nickte, drückte die Rubel in die Hand des Beamten und ließ sich durch einige Wagen erster Klasse zum Gepäckwagen führen. Dort waltete der Subbeamte Pupkow wie ein kleiner Tyrann und befehligte vier Arbeiter, die Post und Säcke, Kisten und Körbe aus- und einluden, während der Fahrt auf Pritschen lagen oder – das aber nur im Winter – um den runden Ofen in der Mitte des Waggons saßen, Tee kochten und sich dort auch wie Hunde zusammenrollten und schliefen, denn der Taigawind pfiff durch alle Ritzen.
    »Aha! Platz für zwei Stinktiere!« schrie Pupkow. »Dort hinten! Zwischen den Zickelställen!«
    Und so bekamen Nikolai und Nadja eine Ecke im Waggon zwischen zwei Verschlagen, in denen zehn Zuchtziegen meckerten. Für Irkutsk waren sie bestimmt. Es mußte eine ganz besondere Rasse sein, daß man sie mit dem Expreß schickte.
    So gut es ging, richteten sich Nikolai und Nadja ein. Es stank zwar nach Ziegenkot, aber hier konnten sie sicher sein, daß keine Kontrolle sie fand.
    Drei Wochen dauerte die Fahrt. An einem schönen Herbstmorgen, bei strahlender Sonne, fuhren sie in Wladiwostok ein. Eine große, reiche Hafenstadt, das Petersburg des fernen Ostens. An den Kais lagen die Frachtschiffe aus aller Welt: amerikanische Passagierdampfer, englische Kanonenboote, französische Tankschiffe. Die Kräne an den Lagerschuppen hievten die Ware an Land … über knirschende Förderbänder kollerten Tausende Tonnen Rohkohle aus den Bergwerken von Chabarowsk in die weit geöffneten Laderäume der ausländischen Frachter.
    »Das Ziel!« sagte Gurjew und legte den Arm um Nadjas Schulter. »Das Meer … das Tor in die Freiheit …«
    Nadja Gurjewa stützte sich gegen ihren Mann. Die drei Wochen Fahrt zwischen den Ziegenställen hatte sie unendlich müde und schlaff gemacht. Ihr Leib war gewachsen, nun verbargen auch die weiten Bauernröcke nicht mehr ihren Zustand.
    Gurjew hatte seine Felltasche geöffnet und betrachtete seine sorgfältig zusammengelegte Uniform. Wladiwostok war fest in weißer Hand …
    »Nicht«, sagte Nadja und schloß die Tasche. Sie kannte Nikolais Gedanken. »Zieh sie nicht an, Niki. Laß uns versuchen, unbekannt und in der Masse von Tausenden zu leben.«
    Gurjew nickte. Aber seine Zustimmung war nur eine Ablenkung. An seinem Herzen nagte die Ungerechtigkeit, die ihm von Koltschak

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