Die Tochter von Avalon - Avalon High
angenommen wie das Segel, das über uns im Wind knallte.
»Es ist nicht wahr«, sagte Jennifer zu ihm. Sie hielt seine beiden Schultern umfasst und weinte. Sie weinte wirklich. Und noch nicht mal auf eine hübsche Art, so wie die Cheerleader an meiner alten Schule zum Beispiel nach einer Niederlage ihres Teams geweint hatten. Bei ihr war tatsächlich Rotz mit im Spiel.
»Er lügt«, behauptete Jennifer mit leidenschaftlicher Stimme. »Wir würden dir so etwas nie antun. Oder, Lance?«
Als Lance nicht sofort antwortete, warf Jennifer ihm einen nervösen Blick zu.
»Oder, Lance?«, wiederholte sie. »Lance?«
Doch Lance antwortete noch immer nicht. Stattdessen verharrte er einfach in der Mitte des Decks, mit seinen Fäusten an seiner Seite, und starrte auf einen Punkt direkt zwischen Wills Füßen. Während ich da stand und zusah, hob Lance langsam den Kopf, so als würde er von einer schweren Last niedergedrückt, bis er, endlich, Wills Blick traf.
Und dann sagte Lance die Worte, die alles für immer verändern würden:
»Es ist wahr.«
Eine von Jennifers Händen flog zu ihrem Mund. Sie schwang ihren schmerzerfüllten Blick von Lance zu Will - beide waren vollkommen reglos - und anschließend wieder zurück.
Niemand sprach. Niemand atmete. Die Meeresbrise peitschte das Segel über unseren Köpfen, doch das war das einzige Geräusch auf der Pride Winn … abgesehen von
dem blechernen Sound aus dem Radio, an dem Marco zuvor herumgespielt hatte.
Schließlich nahm Jennifer die Hand von ihrem Mund und sagte mit einer Stimme, die so erfüllt war von echtem Kummer und echter Reue, dass ich sie nie mehr vergessen werde: »Will. Will. Es tut mir so leid.«
Will sah noch nicht mal in ihre Richtung. Er starrte noch immer Lance an.
»Wir konnten uns nicht dagegen wehren«, versuchte Lance mit einem Zucken seiner kräftigen, nackten Schultern zu erklären. »Wir haben alles versucht. Ganz ehrlich, Will.«
Während ihr die Tränen ungehindert übers Gesicht rannen, flüsterte Jennifer: »Das stimmt. Wirklich. Wir wollten es dir längst sagen. Aber mit allem - wie das mit deinem Dad, und … Es schien irgendwie nie der richtige Zeitpunkt zu sein -«
»Gibt es jemals den richtigen Zeitpunkt?«, erkundigte sich Marco in nasalem Tonfall von der Stelle aus, wo er mit den Händen über seinem Gesicht lag. »Um einem Jungen zu sagen, dass man was mit seiner Freundin hat, meine ich?«
»Halt die Klappe, Marco«, sagte ich.
Marco nahm die Hände von seinem Gesicht und sah mich mit einem schiefen Lächeln an. Eine Seite seines Mundes schwoll zusehends an.
Aber ich hatte kein Interesse an dem, was er als Nächstes von sich geben würde. Ich hatte bloß Augen für die Szene, die sich vor mir abspielte.
»Will.« Lance stand noch immer an derselben Stelle, er hatte seinen Blick nicht ein einziges Mal vom Gesicht seines
Freundes gelöst. »Sag etwas, Kumpel. Irgendwas. Oder schlag mich. Mir ist es egal. Ich verdiene es. Nur … mach irgendwas.«
Will war derjenige, der den Blick zuerst senkte. Er sah runter auf seine nackten Füße. Er hatte noch keine Gelegenheit gehabt, die Schuhe wieder anzuziehen, die er abgestreift hatte, um über Bord zu hechten und dem Bürstenschnitt-Jungen das Leben zu retten.
Als er sprach, war seine Stimme völlig emotionslos. Sie war noch immer so kalt wie die See.
»Lasst uns zurückfahren«, sagte er.
Dann stand er auf, um das Hauptsegel zu lösen.
Die Heimfahrt war schrecklich. Schrecklich und ruhig. Zumindest, wenn man Marco einmal außer Acht ließ, der sich bitter über seine gespaltene Lippe beschwerte, bis ich eins der Kühlelemente holte und ihm gab, nur um ihn zum Schweigen zu bringen.
Wie sich herausstellte, gibt es bei der Rückkehr von einem Segeltörn genauso viel zu tun, als wenn man zu einem aufbricht. Also wickelten wir und fixierten und putzten und verstauten Dinge, alles in völligem Schweigen - das nur unterbrochen wurde, wenn Will einen von uns bat, etwas zu tun … und natürlich hörte Marco nicht auf, sich über seine Lippe zu beschweren und darüber, dass immer auf den Überbringer einer schlechten Nachricht geschossen würde - bis Will schließlich, nachdem die Pride Winn sicher im Hafen vor Anker lag, sagte: »Lasst uns an Land gehen.«
Also kletterten wir ins Beiboot und fuhren zum Ufer. Wir waren wahrscheinlich die stillste Gruppe, die jemals
die Ego Allee runtergefahren ist. Im Verlauf des Nachmittags hatten sich mehr und mehr Leute in den Liegestühlen, die
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