Die Todesbotschaft
aufgab und einen kleinen Vorstoß wagte. Finja hatte ihr Studium beendet und war gerade dabei, sich in der Kunstszene einen Namen zu machen. Eva-Maria gab vor, durch eine Galerie auf sie aufmerksam geworden zu sein, und beauftragte sie, eine Wand ihres Arbeitszimmers zu bemalen. Den ersten Moment, als sie sich in ihrer Wohnung gegenüberstanden, würde ihr wohl bis an ihr Lebensende in Erinnerung bleiben. Sie fühlte sich sprachlos, überwältigt und war kurz davor, in Tränen auszubrechen. So lange hatte sie sich diesen Moment herbeigesehnt. Und dann war er da. Nur zwei Meter trennten sie von ihrer Tochter. Sie konnte mit ihr sprechen, ihre Mimik aus der Nähe beobachten. Nur berühren durfte sie sie nicht.
Drei Wochen lang ließ Eva-Maria Finja bei deren Arbeit nicht aus den Augen und sah immer schnell weg, wenn ihre Tochter sich durch ihre Blicke gestört zu fühlen schien. Wortreich bewunderte sie das Bild, das im Entstehen war, und sprach doch eigentlich nur über ihr Kind. Bis sie eine Entscheidung traf. Wollte sie Finja nicht wieder aus ihren Leben gehen lassen, musste sie ihr etwas anderes bieten als Bewunderung. Also bot sie ihr ihre Freundschaft an. Sie tat es in kleinen, vorsichtigen Schritten. Doch ein jeder von ihnen fühlte sich an wie ein Meilenstein.
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19
W ährend Adrian vor Erschöpfung eingeschlafen war, hielt mich das Adrenalin in meinem Körper wach. Es war kurz nach vier, als ich in dem winzigen Büro der Pensionswirtin von der Kundendatei und Carls Bericht Kopien machte. Ich wollte sie zur Sicherheit an Eva-Maria schicken. Zurück im Zimmer deponierte ich die Originalausdrucke dort und hinterließ eine Nachricht für Adrian, dass ich etwas zu erledigen hätte und gegen Abend zurück sei. Er solle in jedem Fall in der Pension auf mich warten.
Erst auf dem Ku’damm schaltete ich mein Handy ein und checkte die Nachrichten. Eine war von Eva-Maria, drei von Richard und eine von meinem Vater. Sie beschränkte sich auf das Kommando, mich unverzüglich mit ihm in Verbindung zu setzen. Ich verzog mich in einen Hinterhof, um ihn von dort aus anzurufen.
Ich weiß nicht, was ich mir von diesem Telefonat erwartet hatte, eine Erklärung vielleicht oder den Versuch einer Annäherung. Zu hören bekam ich lediglich den Befehl, ihm so schnell wie möglich das restliche Material auszuhändigen.
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, sagte ich. »Ihr wart doch sowohl bei Adrian als auch bei mir und habt euch bedient.« Oder hatte er etwa inzwischen erfahren, dass wir den USB -Stick hatten?
»Es fehlen DVD s, und zwar exakt acht. Ich bin gerade in Berlin gelandet und werde im Hotel de Rome wohnen. Von dir erwarte ich, dass du sie mir noch heute dort ablieferst. Hast du mich verstanden?«
Acht? Die Zahl konnte nicht stimmen. Es waren nur drei gewesen, die wir im Seehotel zerschnitten hatten. »Drei haben Adrian und ich zerstört. Drei, nicht acht. Alle anderen habt ihr bereits wieder.«
Einen Moment lang war es still in der Leitung. Mein Vater räusperte sich, als habe er einen Frosch im Hals. »Carl hat sehr genau Buch geführt über seine Arbeit. Wir haben alles nachgeprüft, es fehlen fünf. Das ist kein Spaß, Finja. Das …«
»Spaß?«, fuhr ich ihn an, wobei sich meine Stimme in die Höhe schraubte und von den Hauswänden zu mir zurückgeworfen wurde. »Weißt du, was für ein Gefühl es ist, den eigenen Vater nicht mehr wiederzuerkennen, sich von ihm bedroht zu fühlen? Festzustellen, dass er Leute losschickt, um sie in meine Wohnung eindringen und alles durchsuchen zu lassen? Hast du bei mir auch Wanzen verstecken lassen wie bei Adrian?«
»Finja, ich erwarte dich heute Abend um zwanzig Uhr in meinem Hotel. Mit den DVD s. Haben wir uns verstanden?«
Ich lachte. »Womit willst du mir denn drohen? Etwa damit, dass du mich sonst in meinem Versteck besuchst?«
»Das würde ich dir gerne ersparen.«
»Netter Versuch«, spottete ich ins Handy.
»Vielleicht schaust du einmal in deine Tasche.«
Als meine Finger den schwarzen Kasten von der Größe einer Streichholzschachtel berührten, wurde mir übel. Ich nahm ihn und warf ihn in das von Unkraut überwucherte Blumenbeet neben mir. Und ich hatte alles darangesetzt, mögliche Verfolger abzuschütteln. Dabei hatten sie nichts weiter tun müssen, als das Signal meines Zickzackkurses bis zu der Pension zu verfolgen.
Mit zitternden Fingern hielt ich mein Handy. »Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, jemals wieder etwas anderes als
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