Die Todesbotschaft
Verachtung für dich zu empfinden«, sagte ich, bevor ich sekundenlang die Taste mit dem roten Hörer drückte.
Mein erster Impuls war es wegzurennen. Nur fort. Nachdem ich jedoch eine Zigarette geraucht und mir blitzschnell alle Möglichkeiten vor Augen geführt hatte, die mir jetzt blieben, schaltete ich mein Handy aus und verließ den Hinterhof. Mit dem Gefühl, von unsichtbaren Augen verfolgt zu werden, suchte ich mir eine Telefonzelle, fand jedoch nur eine Telefonsäule. Von dort aus rief ich in der Pension an und bat die Wirtin, Adrian an den Apparat zu holen. Noch völlig außer mir erzählte ich ihm von dem Sender, hielt dabei eine Hand über den Mund und sah mich ständig um, ob mir jemand auffällig nahe kam.
»Du darfst weder die Ausdrucke noch den USB -Stick aus den Augen lassen. Nicht einmal für eine Sekunde. Hörst du?«, bedrängte ich meinen Schwager.
»Aber du hast doch alles mitgenommen.« Er klang irritiert.
»Nein«, entgegnete ich, »ich habe die Sachen auf dem Tisch liegen lassen.«
Adrian verstummte, lediglich sein Atmen war zu hören. »Dann muss jemand ins Zimmer gekommen sein, während ich unter der Dusche stand.« Er klang völlig niedergeschlagen, als ich ihn die Pensionswirtin fragen hörte, ob sich jemand nach uns erkundigt habe.
Klein und mollig?, lautete die Gegenfrage. Die Frau hätte gesagt, sie sei eine Freundin, als sie ihr auf dem Flur begegnet sei. Ob sie denn nicht geklopft habe? Sekundenlang war mir zum Lachen zumute.
Ich versprach Adrian, spätestens in einer Stunde zurück zu sein. Mein zweiter Anruf galt Eva-Maria. Als ich ihre Stimme hörte, begann ich zu weinen. Ich lieferte ihr eine wortreiche Erklärung dafür, dass ich unsere Verabredung für diesen Abend absagen musste. Sie stellte immer wieder Zwischenfragen, bis sie ungefähr auf dem Stand war, auf dem Adrian und ich uns gerade befanden.
»Finja, auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole – aber ihr müsst denen das Handwerk legen«, sagte sie schließlich. »Und zwar nicht nur deinem Vater und diesem Tobias, sondern auch all den Auftraggebern. Ganz besonders diesem einen. Nimm deine Kopien und geh damit zur Polizei.«
Noch immer liefen mir Tränen über die Wangen. »Meinem Vater ist es gelungen, mir Angst zu machen, Eva. Irgendwo hier um mich herum lauern seine Leute. Die werden mich nicht auf zehn Meter an eine Polizeidienststelle herankommen lassen.«
»Dann ruf die Polizei dorthin, wo du gerade stehst.«
»Nein«, sagte ich mit einer Stimme, die alles andere als fest klang. »Wenn Carl seinen Bericht mit der Hand geschrieben hätte, gäbe es sicher eine Chance, dass man mir glaubt. Aber bei Kopien …? Nachdem mein Vater der Kripo am Tegernsee schon etwas von meiner überbordenden Phantasie erzählt hat, würde er sich nicht scheuen, nach Vorlage von Carls Bericht zu behaupten, dass seine Tochter unter geistiger Verwirrung und Verfolgungswahn leidet. Er würde einen dezenten Hinweis auf Gesa geben. Nach dem Motto: Der Wahnsinn liegt leider in der mütterlichen Linie. Meiner Mutter hat es auch nichts geholfen, dass sie bei klarem Verstand war.«
»Was meinst du damit?«
»Sie hat weder versucht, mich noch sich selbst umzubringen«, schluchzte ich und konnte einen Moment lang nicht weitersprechen. »Das alles war eine einzige Lüge. Mein Vater hat sie in die Psychiatrie verfrachtet, weil die Möglichkeit bestand, dass sie etwas belauscht hatte, was sie nicht wissen durfte. Was die feinen Partner in Gefahr hätte bringen können.«
»Was?«, fragte Eva-Maria.
Ich erzählte ihr von der Auseinandersetzung im Bootshaus.
»Die Beichtstühle«, sagte sie in einem Ton, als fiele es ihr wie Schuppen von den Augen. »Ihr Arzt hat angenommen, es handle sich um einen Traum. Ich habe es in den Gesprächsprotokollen gelesen.«
»Kannst du dir vorstellen, wie sie sich gefühlt haben muss, als ihr unterstellt wurde, zu phantasieren? Niemand hat ihr geglaubt. Das muss sie zutiefst verstört haben. Ich meine, sie war noch so jung …«
Es war so lange still in der Leitung, dass ich schon meinte, sie sei unterbrochen. »Eva?«
»Du hast den Ordner noch nicht bis zum Ende gelesen, oder? Weiter hinten steht nämlich, dass dieser Doktor Radolf mehr und mehr zu der Überzeugung gelangt ist, dass seiner Patientin nichts fehlte. Er wollte sich darüber mit deinem Vater auseinandersetzen. Das ist einer der letzten Einträge. Es folgt nur noch eine kurze Notiz über Gesas Entlassung. Wenn ich das, was du
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