Die Todesbotschaft
war und der Wetterbericht für die kommende Woche ein Tief angekündigt hatte. Amelie fügte sich am Ende, holte ein Vornamenbuch, las Adrian und mir daraus vor und inspizierte kurz darauf gemeinsam mit mir ihren Kleiderschrank auf der Suche nach Outfits, die sie über die kommenden Monate retten würden. Schließlich beschrieb sie mir, wie sie das künftige Kinderzimmer, das jetzt noch als Gästezimmer fungierte, einrichten wollte.
Als sie am Nachmittag von Müdigkeit übermannt wurde und sich hinlegte, nahm ich Adrian beiseite und erzählte ihm im Flüsterton von dem Brief. Ich hatte lange darüber nachgedacht, ob ich es wagen sollte, und mich dann dafür entschieden. Er würde Amelie nichts verraten, da war ich mir sicher.
Er saß neben mir auf dem Sofa. Seine dunklen Locken waren wie so oft mit Gel geglättet. Das schwarze Polohemd über der schwarzen Jeans ließ ihn noch schlanker wirken, als er es ohnehin schon war. Er räusperte sich. »Ich weiß«, meinte er schließlich mit noch immer belegter Stimme. »Dein Vater hat mir davon erzählt.« Er fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht und schüttelte den Kopf. »Ich hätte es nicht für möglich gehalten, auf was für geschmacklose Ideen Leute kommen.«
»Dein Vater glaubt, dass deine Mutter und dein Bruder umgebracht wurden. Ich habe gehört, wie er es zu seinen Partnern gesagt hat.«
Adrian gab ein vielsagendes Stöhnen von sich und schien sekundenlang zu überlegen, ob er überhaupt darauf eingehen sollte. »Finja, mein Vater hat sich da in etwas verrannt. Er kann einfach die Tatsache nicht akzeptieren, dass er die beiden durch einen schnöden Unfall verloren hat. Als wäre es auch nur einen Deut leichter, wenn sie umgebracht worden wären. Entschuldige, wenn ich mich so aufrege. Aber seine Reaktion kommt mir wie eine seltsame Art von Hochmut vor. Als wären Unfälle nur bei anderen möglich – aber bitte schön nicht bei seinen Angehörigen. Und da kann ich nur entgegenhalten: Warum nicht meine Mutter und mein Bruder? An dem Tag hatten sie eben das Pech.« Er legte die Stirn in Falten und fuhr immer wieder mit den Handballen über die Oberschenkel. »Es ist doch schon so alles schwer genug. Ich verstehe nicht, warum er da auch noch …« Das Ende des Satzes blieb ungesagt.
Ich stand auf, ging zum geöffneten Fenster und lehnte mich gegen die Fensterbank. Die Sonne brannte auf meinen Rücken. »Hat die Polizei irgendetwas herausgefunden?«, fragte ich. »Es soll doch diesen Anfangsverdacht gegeben haben. Was ist eigentlich dabei herausgekommen?«
Adrian winkte ab. »Die Ermittlungen haben zu rein gar nichts geführt, die Akte ist geschlossen worden.«
»Aber der Unfall ist doch gerade mal zwei Wochen her.«
Er sah mich mit einem Ausdruck an, als sehe er das gleiche Unwetter heraufziehen, dem er an anderer Stelle gerade erst entkommen war. »Finja, bitte, blas nicht in das gleiche Horn. Mit irgendwelchen abstrusen Verschwörungstheorien ist niemandem gedient. Und tue mir einen Gefallen und setze Amelie nicht einen solchen Floh ins Ohr. Bisher ist sie zum Glück immun gegen diesen Unsinn.«
»Und was ist mit Kerstin?«
Adrians Gesichtsausdruck signalisierte, dass es ihm reichte, trotzdem ging er auf meine Frage ein. »Ich schätze, ihr ist ihre eigene Waghalsigkeit zum Verhängnis geworden. Amelie hat mir von ihrer Aktion auf dem Baumstamm erzählt.«
»Dort, wo sie abgestürzt ist, gab es aber keinen querliegenden Baumstamm.« Ich ging zurück zum Sofa und setzte mich wieder neben ihn.
Doch er wich meinem unnachgiebigen Blick aus und schüttelte nur abwehrend den Kopf.
»Warum ziehst du nicht wenigstens eine andere Möglichkeit in Betracht«, insistierte ich. »Ich sehe ja ein, dass selbst diese Ballung von Unfällen nicht gegen einen Zufall spricht, aber …«
Mit einem Ruck stand Adrian auf und schnitt mir mit einer unmissverständlichen Handbewegung das Wort ab. »Schluss jetzt, Finja, bitte. Du machst alles nur noch schlimmer.«
An diesem Punkt gab ich beschämt auf. Vielleicht war ich wirklich überspannt und malte den Teufel an die Wand.
Auch wenn ich inzwischen fast bereit war, mich der Mehrheitsmeinung zu fügen, ließ ich mich nicht davon abbringen, auch den Spätnachmittag und Abend mit Amelie in der Wohnung zu verbringen. Adrian war noch einmal zu seinem Vater gefahren, und meine Schwester und ich probierten ein neues Kochrezept aus, über dessen nicht ganz gelungenes Ergebnis wir uns schließlich mit mäßigem Appetit
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