Die Todesbraut
väterlicherseits war Jüdin. Ich erin nere mich an die Geschichten, die sie mir als Kind immer erzählte. Der jüdische Glaube lehrt, daß Gott der Herr über Leben und Tod ist und Engel als seine Boten schickt.«
»Heißt das, daß es einen Todesengel gibt?« fragte Curry.
Grace nickte und fuhr fort: »Im Zweiten Buch Mose schickt Gott die Zehn Plagen über das ägyptische Volk, den Juden wird aufgetragen, beide Türpfosten mit Blut zu bestreichen, damit der Todesengel daran vorbeigeht. Deshalb wird bis zum heutigen Tag das Passahfest gefeiert.«
»Eine interessante Legende«, bemerkte Belov.
»Im Hebräischen heißt der Todesengel Malach Ha-Mavet. Früher benutzte man das Wort, um Kindern einen Schrecken einzujagen. Als ich es vorschlug, klang es den Filmleuten zu melodramatisch, und sie entschieden sich statt dessen für ›Dunkler Engel‹.«
»Interessant«, sagte Belov, »dieser Rachegedanke.«
»Rache bringt einen nicht weiter. Aber lassen wir doch die Spiegelfechterei, meine Herren. Wir vier wissen doch voneinander so ziemlich alles, was es zu wissen gibt. Hätte ich jemals den Mann, der meine Eltern auf dem Gewissen hat, gefunden und ihn getötet, es hätte sie auch nicht wie der lebendig gemacht.«
»Aber es hätte dir vielleicht eine gewisse Befriedigung verschafft«, warf Rupert ein.
»Möglich.«
»Ich meine, damals in Belfast hat sich ja alles in Windeseile abgespielt, aber du hast es doch nicht bereut, dieses Schwein erschossen zu haben?«
»Keineswegs. Tatsächlich vertrieb der Vorfall einen bö sen Geist, der mich seit meiner Kindheit verfolgte. Seither schlafe ich viel besser.«
Es folgte eine längere Pause, in der lediglich das Prasseln des Regens zu hören war. Schließlich sprach Belov. »Verstehe ich das richtig, sind Sie bereit, sich uns anzuschlie ßen, Grace?«
»Ich denke schon, allerdings unter meinen eigenen Bedingungen. Sie und Tom haben eine politische Motivation, das kann ich zwar akzeptieren, aber mir persönlich bedeutet das nichts.« Mit einer Hand strich sie über Ruperts Haar. »Bei Rupert liegt der Fall anders. Er kann das Leben nicht ernst nehmen, er langweilt sich schnell, liebt die Aufregung. Mit dieser Einstellung kann ich mich eher identifizieren.«
»Wie meinst du das?« fragte Curry.
»Die Familie meines Vaters glaubte, mit Robert Browning, dem viktorianischen Dichter, verwandt zu sein. Eine Zeile aus einem seiner Gedichte spricht von unserem Interesse an der gefahrvollen Seite des Daseins. Damit spricht er mir aus der Seele. Es kommt mir vor wie eine Rolle, eine Theatervorführung, wenn Sie verstehen, was ich meine, und mein Leben gehört nun mal dem Theater.«
»Sicher«, meinte Belov. »Aber Theater ist stets Phantasie. Doch dort, in jener Gasse in Belfast, das war Wirklichkeit, tödliche, knallharte Wirklichkeit. Ich könnte mir vorstellen, daß Ihnen im Nachhinein der Vorfall als eine Ihrer besten Vorstellungen erschienen ist.«
»Sehr scharfsinnig beobachtet, Oberst. Ich stelle nur eine Bedingung: Wenn mir eine Sache nicht gefällt, dann mache ich sie nicht.«
»Selbstverständlich, meine Liebe.« Er lächelte in die Runde und hob sein Glas. Alle folgten seinem Beispiel. »Auf uns, meine Freunde, auf den ›30. Januar‹.«
Zurück in London, war sie den größten Teil des Monats März ohne Engagement. Dreimal pro Woche trainierte sie in Ian McNabs Studio, und sie erwarb ein BMW-Motorrad, mit dem sie Stadtteile erforschte, in denen sie vorher noch nie gewesen war. Gegen Ende des Monats bat man sie, am National Theatre Hedda Gabler zu spielen, worauf fünf Wochen intensiver Proben folgten. In der dritten Woche schlug Tom Curry ein gemeinsames Treffen vor, und Grace lud sie alle in den Cheyne Walk ein.
Während sie den Kaffee herumreichte, sagte Belov: »Ich habe Probleme mit dem KGB hier in London. Sie haben nach dem Zusammenbruch in Rußland ihren Namen geändert, sie nennen sich jetzt Sluzhba Vneshney Razvedki, kurz SVR, und im Moment leitet ein Major Silsev den Londoner Stützpunkt. Hier ist sein Foto.« Er reichte es herum. »Aber er ist derselbe Gauner wie seine Vorgänger, mit allen Wassern gewaschen, gehört zur russischen Mafia. Ille galer Waffenhandel, Geldwäscherei, Drogen – letzteres ist sein Haupterwerb.«
Grace besah sich das Foto und gab es an Lang weiter. »Er sieht niederträchtig aus.«
»Er sieht nicht nur so aus, er ist es.« Belov gab ihr
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