Die Toechter der Kaelte
»Ernst kam auf die Idee, Morgan Wiberg zur Vernehmung zu holen, völlig aus eigenen Stücken. Es gelang ihm, den armen Burschen so in Streß zu versetzen, daß der durchs Fenster floh, auf die Straße hinauslief und überfahren wurde.«
»Gott, wie entsetzlich«, sagte Erica. »Wie geht’s ihm?«
»Er ist tot.« Erica schnappte heftig nach Luft. Maja, die schlafend in ihrem Arm lag, wimmerte kurz, aber sank dann zurück.
»Es war eine so totale Scheiße, das kannst du nicht fassen«, sagte Patrik, lehnte den Kopf zurück und starrte an die Decke. »Als er dort lag, kam Monica und entdeckte ihn. Sie stürzte zu ihm, bevor wir sie stoppen konnten, nahm seinen Kopf in den Schoß, saß dann da, wiegte ihn und schrie dabei auf eine Weise, die kaum noch menschlich klang. Wir mußten sie am Ende von ihm wegreißen. Es war so schrecklich!«
»Und Ernst?«, fragte Erica. »Was passierte mit ihm?«
»Zum ersten Mal glaube ich wirklich, daß er verdonnert wird. Ich habe Mellberg noch nie so wütend gesehen. Er schickte ihn umgehend nach Hause, und nach dieser Sache glaube ich nicht, daß er zurückkommen kann. Was ein Segen wäre.«
»Weiß Kaj Bescheid?«
»Ja, das kommt auch noch dazu. Martin und ich haben ihn gerade verhört, als der Unfall passierte, und wir mußten rauslaufen. Wäre es nur ein paar Minuten später geschehen, hätten wir ihn wahrscheinlich zum Reden gekriegt. Jetzt hat er sich vollkommen abgekapselt und weigert sich, überhaupt etwas zu sagen. Er gibt uns die Schuld an Morgans Tod, und zu einem gewissen Teil hat er ja recht. Morgen sollten ein paar Kollegen aus Göteborg kommen, um Kaj zu vernehmen, aber das mußten wir auf unbestimmte Zeit verschieben. Im Hinblick auf die Umstände hat Kajs Rechtsanwalt bis auf weiteres alle Vernehmungen gestoppt.«
»Also wißt ihr noch immer nicht, ob er mit dem Mord an Sara zu tun hat? Und mit dem … mit dem, was gestern passiert ist?«
»Nein«, sagte Patrik müde. »Nur eins ist sicher, Kaj kann Maja nicht aus dem Wagen genommen haben. Wir hatten ihn da in Gewahrsam. Übrigens, ist Dan hiergewesen?« fragte er und streichelte die Tochter, die er vorsichtig auf seinen Schoß gehoben hatte.
»O ja, er war ein treuer Wachhund«, sagte Erica lächelnd, aber das Lächeln erreichte ihre Augen nicht. »Ich mußte ihn am Ende mehr oder weniger rausschmeißen. Er ist erst vor einer halben Stunde gegangen. Würde mich nicht wundern, wenn er heute nacht mit dem Schlafsack draußen im Garten liegt.«
Patrik lachte. »Klingt wirklich nicht ganz unwahrscheinlich. Ich bin ihm jedenfalls was schuldig. Es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, daß ihr heute nicht alleine wart.«
»Du, Maja und ich hatten gerade vor, ins Bett zu gehen. Aber wir können noch ein bißchen aufbleiben, wenn wir dir Gesellschaft leisten sollen.«
»Nimm’s mir nicht übel, aber ich ziehe es vor, hier ein bißchen allein zu sitzen«, erwiderte Patrik. »Ich habe mir Arbeit mitgebracht, und danach gucke ich vielleicht fern, um mich eine Weile zu entspannen.«
»Mach, was am besten für dich ist«, sagte Erica. Sie stand auf, küßte Patrik kurz auf den Mund und nahm Maja hoch.
»Übrigens, wie ist es euch heute ergangen?« fragte er, als sie die Treppe schon halb hinauf war.
»Gut«, sagte Erica, und Patrik hörte, daß in ihrer Stimme ein neuer Elan mitschwang. »Heute hat sie überhaupt nicht an der Brust geschlafen, sondern nur im Wagen. Und diesmal schrie sie nicht mehr als zwanzig Minuten, bei der letzten Schlafphase sogar nur fünf.«
»Gut«, sagte er. »Das klingt, als hättest du die Lage allmählich unter Kontrolle.«
»Ja, es ist wirklich ein Wunder, daß es tatsächlich funktioniert«, sagte sie lachend. Dann wurde sie wieder ernst. »Allerdings darf sie jetzt nur im Haus schlafen. Ich wage es bestimmt nie mehr, sie draußen stehenzulassen.«
»Entschuldige, daß ich neulich Abend so … blöd war«, sagte Patrik zögernd. Er wollte nicht riskieren, wieder etwas Bescheuertes zu sagen, also überlegte er sich jedes Wort, auch als er um Entschuldigung bat.
»Ist schon okay«, sagte sie. »Ich bin auch ein bißchen überempfindlich, aber ich glaube, das hat sich jetzt geändert. Die Angst, als sie verschwunden war, hatte jedenfalls ein Gutes: Ich habe begriffen, wie dankbar ich für jede Minute bin, die ich mit ihr verbringen darf.«
»Ich verstehe, was du meinst«, sagte er und winkte ihr zu.
Er stellte den Ton am Fernseher leise, nahm das Aufnahmegerät aus der Tasche, und
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