Die Toechter der Kaelte
daß er deshalb das Kind umgebracht hat.«
Patrik stutzte. »Das klingt, als kennst du die beiden? Den Eindruck hatte ich schon bei Lilian drin.«
»Ich kenne nur Kaj«, antwortete Ernst mürrisch. »Wir sind da so eine Truppe, die sich hin und wieder zum Kartenspiel trifft.«
Eine Sorgenfalte erschien auf Patriks Stirn. »Muß ich mir deshalb Gedanken machen? Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, ob du unter diesen Umständen an der Ermittlung teilnehmen solltest.«
»Blödsinn«, erwiderte Ernst grantig. »Wenn man wegen Befangenheit von einem Fall ausgeschlossen würde, könnten wir hier keinen Fatz erledigen. Jeder kennt jeden, das weißt du genausogut wie ich. Und schließlich kann ich Privates von Dienstlichem trennen.«
Patrik war mit der Antwort nicht sehr zufrieden, aber er wußte auch, daß Ernst in gewisser Weise recht hatte. Die Gegend war so überschaubar, daß sich alle auf die eine oder andere Weise kannten, also war das kein Grund, um jemanden von einer Ermittlung auszuschließen. Da mußte es sich schon um eine engere Verwandtschaft oder ähnliches handeln. Schade aber war es in jedem Fall. Eine Sekunde lang hatte er Morgenluft gewittert und eine Chance gesehen, Lundgren loszuwerden.
Seite an Seite gingen sie auf das Nachbarhaus zu. Eine Gardine bewegte sich im Fenster neben der Tür, fiel aber so rasch zurück, daß sie nicht erkennen konnten, wer dahinter stand.
Patrik studierte das Haus, den Protzbau, wie Lilian ihn genannt hatte. Er sah ihn ja jeden Tag, wenn er von daheim losfuhr oder nach Hause kam, trotzdem hatte er ihn nie näher betrachtet. Auch er war der Meinung, daß es kein besonders schönes Haus war. Es handelte sich um ein modernes Gebilde mit viel Glas und seltsamen Winkeln. Man sah, daß ein Architekt freies Spiel gehabt hatte; das Haus schien gebaut worden zu sein, um in »Modernes Wohnen« vorgezeigt zu werden, aber paßte ebensowenig zu der alten Bebauung wie ein Teenager auf ein Pensionärsfest. Wer sagte denn, daß Geld und Geschmack Hand in Hand gehen müßten? Außerdem war der Baurat an dem Tag, als er die Baugenehmigung erteilte, offenbar blind gewesen.
Er wandte sich an Ernst. »Womit verdient Kaj sein Geld? Ich meine, weil er mitten in der Woche zu Hause ist? Lilian sagte irgendwas von Direktor?«
»Er hat die Firma verkauft und ist vorzeitig in Pension gegangen«, erwiderte Ernst, dessen Ton noch immer beleidigt klang, weil er seine Professionalität in Frage gestellt sah. »Aber er trainiert die Fußballmannschaft ehrenamtlich. Ist wirklich verdammt gut. In jungen Jahren sollte er einen Vertrag als Profi erhalten, aber irgendein Mißgeschick hat es vereitelt. Und ich wiederhole es noch einmal, das hier ist vertane Zeit. Kaj Wiberg ist einer der richtig guten Leute, und wer was anderes sagt, der lügt. Das hier ist einfach nur lächerlich.«
Patrik ignorierte den Kommentar und stieg weiter die Vortreppe hoch.
Sie klingelten an der Tür und warteten. Bald hörten sie Schritte, und ein Mann öffnete ihnen, von dem Patrik annahm, daß es Kaj war. Sein Gesicht leuchtete auf, als er Ernst erkannte.
»Tach, Lundgren, wie steht’s? Heute ist doch kein Spielabend, oder?«
Sein breites Lächeln erlosch, als er sah, daß keiner der beiden den Mund verzog. Er verdrehte die Augen. »Was hat sich die Alte denn jetzt wieder ausgedacht?« Er wies sie in das große, offene Wohnzimmer, ließ sich schwer in einen Sessel fallen und bedeutete ihnen, sich aufs Sofa zu setzen.
»Ja, nicht, daß ich das, was der Familie passiert ist, nicht bedaure, es ist wirklich eine Tragödie, aber daß sie auch unter diesen Umständen die Stirn hat, sich weiter mit uns anzulegen, sagt eine Menge darüber, mit was für einer Sorte Mensch wir es hier zu tun haben.«
Patrik ignorierte den Kommentar und studierte den vor ihnen sitzenden Mann. Er war von mittlerer Größe, schmal, mit windhundähnlichem Aussehen, und trug das ergraute Haar in einer kurzgeschnittenen, ziemlich nichtssagenden Frisur. Der ganze Mann war eigentlich ziemlich nichtssagend, einer von der Sorte, die Zeugen von Banküberfällen unmöglich beschreiben konnten, falls er auf die Idee kam, eine Bank zu überfallen.
»Wir suchen alle Nachbarn auf, die möglicherweise etwas gesehen haben. Das hat nichts mit den Streitigkeiten zwischen Ihnen zu tun.« Patrik hatte schon vor ihrem Klingeln beschlossen, nichts davon zu sagen, daß Lilian auf Kaj hingewiesen hatte.
»Ach so«, sagte Kaj in einem Ton, der einen Anflug von
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