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Die Töchter der Lagune

Die Töchter der Lagune

Titel: Die Töchter der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Bevor Francesco das ganze Ausmaß der Tat des Fahnenflüchtigen erkannte, erklangen dicht aufeinander folgend ein halbes Dutzend Schüsse und der Venezianer brach mit vor die Brust geschlagenen Händen in die Knie. Einige Momente lang schwankte er wie ein Schössling im Sturm, dann fiel er vornüber wie ein nasser Sack. Schockiert beschattete Francesco die Augen, um zu sehen, wer den Fahnenflüchtigen erschossen hatte. Einige Hundert Schritte weiter südlich auf den Zinnen stiegen winzige Pulverwölkchen gen Himmel, und er erkannte Christoforo Moros Gestalt, gerade als dieser die Muskete absetzte, die er selbst abgefeuert hatte. Fünf weitere Männer hoben ebenfalls die langläufigen Gewehre von den Schultern und schüttelten traurig die Köpfe.
     
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Zypern, Famagusta, Mai 1571
     
    Angelina schwitzte unter der erbarmungslosen Sonne. Die Kohlebecken, die im Hof der Zitadelle brannten, erleichterten die Dinge nicht unbedingt. Desdemona und sie selbst hatten sich freiwillig gemeldet, um dem Dottore dabei zu helfen, sich um die Verwundeten zu kümmern. Und Angelinas Begeisterung für dieses Abenteuer hatte sich längst gelegt – seit sie die ersten furchtbaren Wunden gesehen hatte, welche die heimtückischen türkischen Pfeile ins Fleisch der blutenden Männer rissen. Sie säuberten und verbanden die Wunden so gut sie konnten, doch ihr Vorrat an Salben und Kräutern neigte sich dem Ende. Daher waren sie dazu übergegangen, die meisten Wunden auszubrennen, auch wenn der Gestank und die Schreie der Verletzten Übelkeit erregend waren.
     
    Das war ganz sicher nicht das, was sie sich erträumt hatte, als sie die Entscheidung gefällt hatte, dem Mann ihrer Träume zu folgen. Seit ihrer Hochzeit vor zwei Wochen hatte sie Francesco kaum zu Gesicht bekommen. Er stand auf, wenn die Sonne noch schlief, und kehrte schmutzverkrustet und erschöpft von der Front zurück, wenn die Nacht bereits mehrere Stunden alt war. Oft kroch er einfach, ohne die Stiefel auszuziehen, in seinen staubigen, schweißverklebten Kleidern neben ihr unter die Decke. Doch noch öfter verbrachte er die Nacht in einer der riesigen unterirdischen Hallen unter der Martinengo Bastion, wo die Soldaten ihr Feldlager errichtet hatten. Er hatte nicht einmal die Zeit, sich zu rasieren, und sein ehemals jungenhaftes Gesicht wirkte mit dem schwarzen Vollbart wesentlich älter und grimmiger.
     
    Sie seufzte. Gerade hatte sie eine Bandage am Oberschenkel eines jungen Mannes festgezurrt, der von einer der langen, scharfen Pfeilspitzen aufgerissen worden war, als ein weiterer Eselskarren über den gepflasterten Hof holperte. Wie immer zog sich ihr Herz angstvoll zusammen, bis die Tiere zum Halten gekommen waren und sie die Augen über die bleichen Gesichter hatte wandern lassen, um erleichtert festzustellen, dass Francesco nicht unter ihnen war. Dieser Albdruck, dass sie eines Tages die Wunden ihres Gemahls versorgen müsste und ihn nicht retten könnte, raubte ihr den Schlaf. Sie fürchtete ihn noch mehr als den schrecklichen Feind vor den Mauern der Stadt.
     
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Zypern, ein Gemach im Militärquartier von Famagusta, Mai 1571
     
    Cassios Hoffnung, entweder Bragadin oder Christoforo Moro durch Zufall zu begegnen, war zum wiederholten Mal zerschlagen worden. Er hatte Desdemona deshalb noch einmal aufgesucht. Diese hatte ihm versichert, dass sie sein Anliegen bei mehreren Gelegenheiten zur Sprache gebracht hatte, und dass ihr Gemahl seiner Bitte wohlgesonnen war. Bei dieser Gelegenheit hatte er sie auch nach einem Buch – dem Decamerone – fragen wollen, von dem er vergessen hatte, ob er es ihr geliehen hatte oder nicht. Aber zum einen wollte er nicht vergesslich erscheinen; und zum anderen waren seine Gedanken mit weitaus Wichtigerem beschäftigt. Warum hatte er bis jetzt noch keine Nachricht vom General? All das untätige Herumsitzen und Warten brachte ihn beinahe um den Verstand! Er wischte mit einem weichen Tuch das Öl von der Klinge seines Degens und schob die Waffe vorsichtig in die glänzende Scheide zurück. Auch wenn er von seinem Amt suspendiert war, wollte er dennoch beim Kampf gegen die Belagerer von Nutzen sein. Sein Freund Jago hatte ihm einen Posten auf den Zinnen nahe der Arsenal Bastion verschaffen können – weit weg von Christoforo Moro und Bragadin, die sich bei der Oberaufsicht über die Verteidigung des Landtores abwechselten.
     
    Bis jetzt hatte Cassio noch keine praktische Erfahrung im Feld sammeln können. Sein Ruf als

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