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Die Töchter der Lagune

Die Töchter der Lagune

Titel: Die Töchter der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Stratege beruhte ausschließlich auf seinem Erfolg an der Militärakademie in Venedig und der Tatsache, dass er der Sohn eines einflussreichen Senators war. Er musste zugeben, dass die unangenehme Lage, in die er sich manövriert hatte, auch Vorteile barg. Indem er vorübergehend die Stellung eines einfachen Soldaten einnahm, war es ihm möglich, aus erster Hand zu lernen – etwas, dass ihm verwehrt geblieben wäre, wenn er die Verantwortung des Kommandos hätte tragen müssen.
     
    Unvermittelt schreckte ihn ein Klopfen an der Tür auf. Wer konnte das sein? Für gewöhnlich hatte er nicht viele Besucher. Neugierig erhob er sich von dem alten Holzstuhl, auf dem er gesessen hatte, legte die Waffe nieder und öffnete die niedrige Tür. „Bianca!“, rief er erstaunt aus, als er die junge Frau erkannte, die im Flur stand. Ihr Kopf war mit einem einfachen, schwarzen Kopftuch bedeckt, das sie sich jedoch rasch von den perfekt gelegten Locken zog, nachdem sie sich an ihm vorbei in die Kammer gezwängt hatte. Sie trug ein blaues Kleid mit einem tiefen Ausschnitt und zierliche Schühchen an den kleinen Füßen. Das Gesicht mit den hohen Wangenknochen war stark geschminkt. Die weiße Talkgrundierung hob sowohl die zinnoberroten Wangen und Lippen als auch die schwarz umrandeten Augen hervor, die sie mit Tollkirschtropfen zum Funkeln gebracht hatte. „Ich habe die ganze Nacht auf dich gewartet“, schmollte sie, den Mund zu einer kindlichen Schnute verzogen. „Du bist nicht gekommen.“
     
    Er stöhnte innerlich. Sie war der größte Fehler, den er seit seiner Ankunft in dieser verdammten Stadt begangen hatte. Nach dem Streit mit Bragadin und der darauf folgenden Degradierung hatte er seine Probleme in einer schäbigen Taverne im zwielichtigsten Viertel Famagustas ertränkt, wo ihn dieses Freudenmädchen aufgelesen hatte. Er war ihr wie ein folgsames Schoßhündchen in ihr Quartier gefolgt und hatte sie die Sorgen von seinen Schultern nehmen und sich von ihrem üppigen Körper trösten lassen. Am nächsten Morgen jedoch, als er ihr Gesicht ohne die kunstvolle Maske gesehen hatte – die Haut fleckig und voller unappetitlicher Unreinheiten – hatte er überstürzt seine Rechnung beglichen und das Freudenhaus durch die Hintertür verlassen. Obschon er sich in einem Teil der Stadt befand, in dem er nicht erwartete, jemandem über den Weg zu laufen, der ihn kannte, hatte sich seine Vorsicht als weitsichtig erwiesen. Als er um die Ecke gebogen war, wäre er um ein Haar mit einem Soldaten zusammengestoßen, der sich gerade die Hose hochzog. Unglücklicherweise war sein Entschluss, Bianca nie wiederzusehen, nicht von langer Dauer gewesen, da seine körperlichen Bedürfnisse die Oberhand über die rationalen Bedenken gewannen, und er sie wieder und wieder aufsuchte. Bis sie schließlich eine Bindung zu dem freundlichen jungen Soldaten aufgebaut hatte, der öfter kam, um zu reden, als das Recht einzufordern, das er sich mit seinen Münzen erworben hatte. Mehr als einmal hatten sie schon zusammen zu Abend gegessen und über seine Probleme diskutiert. Wobei sie ihm – scheinbar interessiert – zuhörte, bevor sie ihn ins Bett zog.
     
    „Ich hatte keine Zeit“, entschuldigte er sich lahm und schob sie sanft aus dem Weg, um an seinen Uniformmantel zu kommen. „Und es tut mir leid, aber ich muss jetzt fort.“ Sie wollte etwas erwidern, aber er unterbrach sie, indem er flüchtig die roten Lippen küsste. Instinktiv rieb er sich danach den Mund, um alle Spuren von Farbe zu entfernen. Er wollte nicht, dass jemand merkte, dass er unzählige Nächte in den Armen einer Hure verbrachte. „Ich werde dir eine Nachricht schicken, wann wir uns treffen können.“ Mit diesen Worten hielt er ihr die Tür auf, zog sie hinter sich ins Schloss und wartete, bis sie die Treppen hinabgestiegen war, bevor er ihr folgte und das Quartier verließ.

Kapitel 31
     
Konstantinopel, Topkapi Palast, eine Kammer im Harem, Juni 1571
     
    Elissa litt Höllenqualen. In dem fruchtlosen Versuch, die schrecklichen Krämpfe zu unterdrücken, hatte sie die Hände auf ihren Unterleib gepresst. Sie wand sich auf dem Diwan in ihrer Kammer, dessen Decken und Kissen bereits schweißgetränkt waren. Neslihan kniete neben ihr und tupfte ihr die graue Stirn mit einem feuchten Tuch, das sie immer wieder in eine Schüssel mit kaltem Wasser und frischen Minzblättern tauchte. Elissas Eingeweide standen in Flammen. Es hatte in der Nacht begonnen, und zuerst hatte sie

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