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Die Töchter der Lagune

Die Töchter der Lagune

Titel: Die Töchter der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Zeltleinwand die Dämmerung senkte, wurden die Mädchen vom Klang erregter Stimmen aufgeschreckt. Mehrere tiefe Männerstimmen schienen über etwas zu streiten, das Elissa nicht ganz verstehen konnte. Neugierig schlug sie die Zeltöffnung zurück und lugte um die Ecke, wo sie zwei junge Janitscharen erblickte, die einen bewusstlosen Gefangenen auf die Unterkunft des Oberbefehlshabers zuzerrten. Die Uniform des Mannes war blutig, und er schien im Verlauf des Kampfes mehrere ernste Verletzungen erlitten zu haben. Als der Kommandant aus dem Inneren auftauchte, entstand augenblicklich eine kurze, aber heftige Diskussion, bis der Aga schließlich in Elissas Richtung wies. Mit einem kurzen Nicken und einer Verbeugung hievten die jungen Männer ihren Gefangenen hoch und schleppten ihn auf das Mädchen zu. Erschrocken ließ Elissa den Zipfel der Zeltleinwand, den sie offen gehalten hatte, fallen und zog sich in den Schutz der Dunkelheit zurück.
     
    Als sie das Zelt erreichten, verlangten die Männer ungeduldig und lautstark nach Neslihan. Und kaum trat das kleine Mädchen schüchtern vor sie, schleuderten sie den bewusstlosen Gefangenen vor seine Füße. „Kümmere dich um ihn, bis der Hekim vom Feld zurückkehrt!“ Ehe Neslihan sich aus der respektvollen Verbeugung, in die sie vorsichtshalber gesunken war, aufrichten konnte, wandten sie sich ab und eilten zum Zelt des Aga zurück. Mit einem traurigen Kopfschütteln versuchte sie, den Mann auf die Seite zu drehen, sodass er nicht an seinem eigenen Erbrochenen erstickte. „Wir sollten ihn hineinbringen“, schlug Elissa vor. Das Mitleid für den Landsmann hatte die Oberhand über ihre Furcht gewonnen, und sie ergriff vorsichtig die Füße des Bewusstlosen. Mit vereinten Kräften gelang es den beiden Mädchen schließlich, den Soldaten auf einen der niedrigen Diwane zu wuchten. „Hol mir heißes Wasser“, befahl Elissa und kniete sich neben den Verwundeten. Sein dunkles Haar war schweiß- und schmutzverklebt, und das gutaussehende Gesicht war mit Schnitten übersät. Wer mochte er sein?, fragte Elissa sich.
     
    Während sie behutsam den Kragen seiner Uniform aufschnürte, begann der Mann zu stöhnen. „Nicht bewegen“, ermahnte Elissa ihn auf Venezianisch. Seine Lider flatterten, als er sich bemühte, die Augen aufzuschlagen, seine Finger zuckten zum Kopf. „Nicht.“ Sie nahm seine kalte Hand und streichelte sie beruhigend, um ihn daran zu hindern, die scheußliche Wunde an seinem Hinterkopf zu betasten. „Wir werden den Schnitt säubern und verbinden. Dann wird es Euch bald wieder gut gehen.“ Nach einigen weiteren fruchtlosen Versuchen gelang es ihm schließlich, die geschwollenen Augen zu öffnen. Die Worte wie ein Betrunkener lallend, murmelte er: „Ihr seid aus Venedig!“ Dann fiel er wieder in den tiefen Schlaf der Ohnmacht.
     
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    Stunden später – der Mond stand bereits hoch am Himmel – wurden die Mädchen, die auf ihren Betten eingeschlummert waren, roh aus dem Schlaf gerissen, als ein halbes Dutzend Männer mit Fackeln ihr Zelt stürmte. „Dort!“ Sie wiesen auf die auf dem Diwan ausgestreckte Gestalt des Gefangenen und zerrten ihn grob hoch. „Huren!“, stieß Selim vor Wut bebend, aber dennoch gefährlich ruhig hervor. Mit wenigen Schritten schoss er auf Elissa und Neslihan zu, die sich in eine Ecke geflüchtet hatten und sich dort wie geprügelte Tiere zusammenkauerten. Mit einer Bewegung, die so pfeilschnell vonstatten ging, dass Elissa sie nicht kommen sah, ergriff er den Stoff ihres Gewandes und zwang sie auf die Beine. Er holte aus und schlug ihr zweimal so hart ins Gesicht, dass sie den Kupfergeschmack des Blutes, das ihr aus der Nase sprudelte, auf den Lippen schmeckte. „Danke Allah, dass du die Mutter meines Erben bist“, zischte er. „Aber die da hat kein solches Glück!“ Er ließ von Elissa ab und wies mit dem Kinn auf Neslihan. „Ergreift sie!“

Kapitel 35
     
Zypern, Famagusta, 21. Juni 1571
     
    Desdemona war froh, dass sie alle Hände voll zu tun hatte, sich um die Verwundeten zu kümmern. Wenigstens ließ diese grausige Aufgabe sie die eigenen dunklen Ängste vergessen. Zudem bot es ihr einen Vorwand, Angelinas gut gemeinten, aber schmerzlichen Fragen auszuweichen. Was war nur über Christoforo gekommen? Wie hatte er sie nur vor aller Augen demütigen können? Seit einigen Wochen benahm er sich schon sonderbar, aber sie hatte es auf den enormen Druck geschoben, unter dem er zweifellos stand. Manchmal fand

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