Die Toechter Egalias
immer mehr als du.“
„Du lügst! Letztesmal habe ich achtunddreißig gehabt!“
„Und ich zweiundvierzig!“ Sie schnipste mit den Fingern vor der Nase der anderen.
„Glaub bloß nicht, daß du mir vor der Nase rumschnipsen kannst!“ Eine Faust sauste durch die Luft. Petronius lief von der Tanzfläche weg. Eine Schlägerei begann. Ein Stuhl wurde durch den Raum geschleudert. Die Schläge prasselten auf Kopf und Nasenbein nieder. Gro versuchte, die beiden Kampfhennen zu trennen, kriegte dafür aber eins rein. Flaschen und Gläser kippten um. Die Frauen schleuderten sich gegenseitig im Raum herum, einige riefen: „Hört doch auf mit dem Unsinn“, andere: „Hört doch selber auf.“ Die beiden, die begonnen hatten, keiften: „Der werd’ ich’s zeigen“ und „Halt verdammt noch mal die Schnauze.“
„Idiotinnen“, brüllte eine Stimme. Das war Lis Ödeschär. Sie stand in der Tür. Die Frauen wurden unterwürfig, standen auf, brachten ihre Kleider in Ordnung und begannen, aus den noch heil gebliebenen Gläsern zu trinken. Kein Wort war zu hören. „Was soll denn das? Ich bin kaum zehn Minuten weg und schon zerschlagt ihr das Inventar.“ Sie antworteten nicht. Ödeschär ging zu Petronius, faßte ihn unter den Arm und schob ihn durch die Tür. Auf der Schwelle drehte sie sich noch einmal um und sagte drohend: „Das kommt euch teuer zu stehen. Das verspreche ich euch.“
Dann ging sie mit Petronius auf Deck und führte ihn in ihre Kabine. Petronius wollte eine Erklärung geben, doch Ödeschär hob nur abwehrend die Hände. Sie gab ihm eine Zigarette. Seine Hand zitterte leicht. Sie streckte sich behaglich auf ihrer Koje aus und schaute ihn an. „Komm her!“ Petronius war verwirrt und setzte sich auf die Kante der Koje. Ödeschär lächelte ihn an. „Eigentlich habe ich schon immer eine besondere Vorliebe für dich gehabt, Petronius“, sagte sie. Das klang beruhigend. Sie hatte bestimmt viele Männer gekannt, war in der Welt herumgekommen, hatte ihn aufwachsen sehen. Petronius fühlte sich wie zu Hause. Dann spürte er einen Finger seine Schläfe streicheln. „Eigentlich bist du ein ganz reizender und anmutiger junger Mann. Du wirst mit der Zeit schon ein braver Bursche werden.“ Sie neigte sich zu ihm und küßte ihn. Petronius kniff den Mund zusammen. Zu seinem Erstaunen hörte Ödeschär aber auf. Sie erhob sich und sagte beleidigt: „Na gut, wenn du nicht willst.“
Als die Seefrauen am nächsten Tag von der Fangtour zurückkehrten, waren sie noch einhelliger als zuvor der Meinung: „Mannsbilder zur See sind keine gute Gesellschaft.“
Die kleine Rose aus dem Barackenviertel
An einem Wintertag kam Direktorin Bram zu ihrem Mann und erklärte, er werde ein Kind bekommen. Freudestrahlend umarmte sie ihn: „Du bist in glücklichen Umständen. Nun wirst du nicht mehr so allein sein.“ Kristoffer löste sich aus der Umarmung und sah zur Seite. Mit einemmal bereute er, mit der Pille aufgehört zu haben. Oder war es nicht vielmehr eine Forderung gewesen? Sie hatte ihm öfter gesagt, ihr komme es so vor, als habe er weniger Lust, wenn er die Pille nehme.
Kristoffer Listochter war noch sehr jung, als er Vaterschaftspatron wurde. Er erinnerte sich an das erste Mal, als sie diese Worte gesagt hatte; überglücklich war er gewesen. Denn das bedeutete, daß sich zwischen ihnen mehr als nur eine flüchtige Affäre abgespielt hatte. Aber es bedeutete auch noch mehr. Als Vaterschaftspatron von Rut Bram kam er in ein altangesehenes und gutsituiertes Geschlecht.
Kristoffer hatte eine beschwerliche Kindheit in kümmerlichen Verhältnissen. Er war das Ergebnis eines zufälligen Beischlafs auf einem Einführungsball gewesen. Sein Vater, Rudrik Listochter, hatte alles auf eine Karte gesetzt. Er wollte unbedingt aus dem Elend heraus, heraus aus den Baracken, wo er mit seinem Großvater gelebt hatte. So hatte er Kristoffers Mutter, Sue Humle, auf einem Einführungsball getroffen und sich auf den ersten Blick in sie verliebt. Sue Humle kam eigentlich aus Pax und sprach egalitanisch mit einem interessanten Akzent, der ihn auf Anhieb für sie eingenommen hatte. Sie hatte ihm exotische Getränke spendiert und die leckersten Gerichte auf das Einführungszimmer schicken lassen. Die Scheine hingen ihr nur so aus der Hosentasche, und sie hatte Unsummen an Trinkgeldern ausgegeben. Sue Humle hatte ihm erzählt, daß ihre Mutter Besitzerin einer der größten Handelsgesellschaften in Pax sei und sie selber Pax
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