Die Toechter Egalias
behaglich in ihren Sesseln zurück und hörten aufmerksam zu. „Überreste dieser alten Rituale finden sich heute nur noch in den Menstruationsspielen, die jeweils im dreizehnten Monat des Jahres stattfinden. Der Menstruationszyklus der Frauen war genau das, was das Wibschengeschlecht mit dem Leben verband und zu dem großen Kreislauf der Natur und den Mondphasen in Beziehung setzte. Durch den unablässig wiederkehrenden Rhythmus in ihrem Körper war die Frau auf besondere Weise an die Natur gebunden, und diese Beziehung zu den Naturkräften verlieh ihr eine innere Macht und Stärke, die bewirkten, daß sie die Natur und deren Gewalten genauso zu meistern fähig war, wie sie ihren eigenen Körper einmal im Monat durch Auslösen des Eisprungs befrauschte. Deshalb hatten Frauen größere Kontrolle über alles: den eigenen Körper, den Ackerbau, die Welt.
In früheren Gesellschaften hatten die Männer an derartigen Riten der Frauen keinen Anteil. Und die Sitte, die Männer davon auszuschließen, hat sich bis in unsere Zeit erhalten. Ursprünglich ließ dam die Männer nicht teilnehmen, weil dam noch nicht erkannt hatte, daß Männer im Lebenszyklus einen ganz bestimmten Platz einnahmen. Sie liefen einfach in Horden umher, strichen sich über ihren Penis und versuchten, ihn in eine Frau zu stecken, wenn sie es ihm gerade einmal erlaubte. Erst später sah dam ein, daß Männern im Hinblick auf die Nachkommenschaft eine besondere Funktion zukam. Weil das Verhältnis der Mutter zum Kind an ihre Physis gebunden war — durch Befruchtung, Schwangerschaft, Geburt und Stillen —, entwickelte sich ihre Beziehung zum Kind auf rein materieller Basis. Sie sorgte dann für dessen Lebensbedürfnisse, indem sie für sich und das Kind anfangs den Acker bebaute und später in der zivilisierten Gesellschaft dadurch, daß sie Geld verdiente. Dagegen war das Verhältnis des Mannes zum Kind rein geistiger Art — und deshalb niedriger. Für ihn bedeutete die Nachkommenschaft keine praktisch erfahrbare physische Realität, sondern die Verwirklichung einer geistigen Einheit. Auf dieser Grundlage hatten die Wibschengesellschaften vermutlich schon in einem relativ frühen Stadium begonnen, die Vaterschaft zu kultivieren“, dozierte Herrlein Uglemose. „Das Verhältnis des Mannes zur Natur und ihren Früchten — und somit auch zur Leibesfrucht der Wibschen — konnte nur im rein geistigen Bereich angesiedelt sein. Daher hatte der Mann schon immer eine gewisse Neigung, zu abstrahieren. Abstrahieren heißt, sich von der Wirklichkeit entfernen“, fügte Herrlein Uglemose erklärend hinzu und sah seine gebannt lauschenden Zuhörer gespannt an.
Herrlein Uglemose hatte in jungen Jahren viel und mit Eifer studiert. Aber er durfte mit dem, was er wußte, nie an die Öffentlichkeit treten. Denn er hatte den Eindruck, daß es mit dem Rundschreiben Nr. 287 nicht in Einklang stand. Immer öfter litt er unter schweren Depressionen, weil in ihm der Verdacht aufgekeimt war, daß die Theorien, die er um die gefundenen Fakten spann, gerade Ausdruck und Bestätigung einer zunehmenden Entfernung von der Wirklichkeit waren.
„In früheren Gesellschaften erhielten die Frauen auf Grund ihrer Fruchtbarkeit die Macht“, erläuterte er. „Die Fruchtbarkeit war für alle deutlich zu sehen, denn die Frau bekam die Kinder und entrang dem Acker die Feldfrüchte. Während die Frauen also die Kinder bekamen und das Land bestellten, Eier und Kräuter sammelten und eine Gesellschaft um sich schufen, gingen die Männer auf die Jagd. Es war aber nicht viel, was sie mit nach Hause brachten. Die Jagd war beschwerlich, und in der Regel erlegten sie nichts. Sie hatten eine so merkwürdige Art, zu schreien und Lärm zu machen. Das Wild lief weg, noch ehe die Männer nahe genug herankamen. Die Leute konnten sich das nicht erklären, jedenfalls kamen sie oft mit leeren Händen zurück, und das, was sie mitbrachten, war für den Bestand der Gemeinschaft meist nicht notwendig. So betrachtete dam den Mann allmählich als nutzloses Übel.
Als der Ackerbau immer komplizierter wurde und die Landwirtschaft auf Grund verbesserter Methoden immer größere Erträge abwarf, entwickelte sich in der Wibschengesellschaft eine Klassenteilung. In den Händen der Frauen lag aus naturbedingten Gründen das Besitzrecht an Grund und Boden. Außerdem versuchten sie, Methoden zu finden, um sich die Männer nutzbar zu machen und an sich zu binden. Ungefähr zur gleichen Zeit hatten die Wibschen
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