Die Tore der Welt
Gesicht war gerötet, und er
schwitzte. Richard hatte Ralphs Bemerkung gehört, und nun sagte er: »Das ist so
wahr wie die Bibel.« »Beschwer dich nicht. Die Härte unseres Vaters macht uns
stark«, erwiderte William und wandte sich ab. Vermutlich wollte er vor einem
Untergebenen wie Ralph nicht weiter darüber reden.
Nachdem die Pferde
versorgt waren, gingen die Männer durch die Burganlage, vorbei an Küchen,
Mannschaftsunterkünften, einer Kapelle und dann über eine zweite Zugbrücke, die
in die kleinere Innenburg auf der Motte führte. Hier lebte der Graf in einem
traditionellen Wohnturm mit Lagerräumen im unteren Teil, einer großen Halle
darüber und einem kleineren Söller mit dem gräflichen Schlafgemach. Krähen
hausten in den hohen Bäumen um den Wohnturm herum, hockten wie Sergeanten auf
den Zinnen und krähten ihre Unzufriedenheit hinaus. Graf Roland befand sich in
der großen Halle. Er hatte seine verschmutzte Jagdkleidung bereits gegen eine
purpurne Robe eingetauscht. Ralph stellte sich neben den Grafen, bereit, die
Frage seiner Beförderung bei der ersten sich bietenden Gelegenheit
anzusprechen.
Graf Roland
unterhielt sich gut gelaunt mit Williams Gemahlin, Lady Philippa. Sie war einer
der wenigen Menschen, die ihm widersprechen und damit durchkommen konnten. Die
beiden sprachen über die Burg. »Ich glaube nicht, dass sie sich in den letzten
hundert Jahren irgendwie verändert hat«, bemerkte Philippa.
»Das liegt daran,
weil sie so gut gebaut ist«, erwiderte Roland, der noch immer nur aus dem
linken Mundwinkel sprach. »Ein Feind verausgabt den größten Teil seiner Kraft,
um in die Vorburg zu gelangen, worauf er eine vollkommen neue Schlacht
ausfechten muss, um auch die Innenburg nehmen zu können.«
»Ganz recht«, sagte
Philippa. »Sie ist zur Verteidigung gebaut worden, nicht als bequemer Wohnsitz.
Doch wann ist zum letzten Mal eine Burg in diesem Teil Englands angegriffen
worden? Nicht zu meinen Lebzeiten.«
»Und auch nicht zu
meinen.« Graf Roland grinste mit der beweglichen Seite seines Gesichts. »Und
das liegt wohl daran, dass unsere Verteidigungsanlagen zu stark sind!«
»Es gab einmal
einen Bischof, der hat Eicheln auf die Straße gestreut, wohin er auch gereist
ist, um sich vor Löwen zu schützen. Als man ihm sagte, es gebe keine Löwen in
England, hat er erwidert: ›Das klappt ja besser, als ich dachte‹« Roland
lachte. Philippa fügte hinzu: »Die meisten vornehmen Familien leben heutzutage
in angenehmeren Gebäuden.«
Ralph war Luxus
egal, Philippa jedoch nicht. Nun betrachtete Ralph ihre üppige Figur, während
sie sprach, ohne sich der Gegenwart des jungen Mannes bewusst zu sein. Ralph
stellte sich vor, wie sie unter ihm lag, ihren nackten Leib wand und vor Lust
oder Schmerzen schrie — oder vor beidem. Wenn er Ritter wäre, könnte auch er
solch eine Frau haben.
»Ihr solltet diesen
alten Wohnturm abreißen und ein neues Haus bauen«, sagte Philippa zu ihrem
Schwiegervater. »Ein Haus mit großen Fenstern und vielen Herden. Ihr könntet
eine Halle im Erdgeschoss haben und Familiengemächer, die sich daran anschließen,
sodass wir einen Platz zum Schlafen hätten, wenn wir Euch besuchen kommen. Am
anderen Ende kann man dann die Küche bauen, damit das Essen noch warm auf den Tisch
kommt.«
Ralph erkannte,
dass er etwas zum Gespräch beitragen konnte, und warf ein: »Ich weiß, wer ein
solches Haus für Euch entwerfen könnte.«
Roland und Philippa
drehten sich überrascht zu ihm um. Was wusste ein Junker schon vom Hausbau?
»Wer?«, fragte Philippa.
»Mein Bruder
Merthin.«
Nachdenklich legte
sie die Stirn in Falten. »Der Junge mit dem lustigen Gesicht, der mir gesagt
hat, ich solle grüne Seide kaufen, weil es zu meinen Augen passt?«
»Er wollte nicht
despektierlich sein, Mylady.« »Nun ja, ich bin mir sowieso nicht sicher, was
der Junge gemeint hat. Ist er Baumeister?« »Der beste!«, antwortete Ralph
stolz. »Er hatte die Idee für die neue Fähre in Kingsbridge. Er war es auch,
der herausgefunden hat, wie man das Dach von St. Mark reparieren kann, was
sonst niemand konnte. Und nun hat er den Auftrag, die schönste Brücke in ganz
England zu bauen.« »Irgendwie überrascht mich das nicht«, sagte Philippa.
»Was für eine
Brücke?«, fragte Roland.
»Die neue Brücke in
Kingsbridge. Sie wird Spitzbögen haben wie eine Kirche und breit genug für zwei
Karren sein.«
»Davon habe ich ja
noch
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