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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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und sie sagte mir, ich
soll Euch holen, und sie weiß, dass Ihr den Armen helft, aber sie kann Euch
bezahlen, und kommt Ihr bitte mit?« Das Ansinnen war Caris nicht fremd, und sie
führte, wohin sie auch ging, eine Ledertasche mit medizinischem Rüstzeug mit
sich. »Aber natürlich komme ich mit, mein Junge«, sagte sie. »Wie heißt du
denn?« »Giles Spicers, Mutter, und ich soll warten und Euch mitbringen.« »Also
gut.« Caris wandte sich an den Bischof. »Bitte macht ohne mich weiter. Ich
komme zurück, sobald ich kann.« Sie nahm ihre Tasche und folgte dem Jungen
hinaus.
    Shiring verdankte
seine Existenz der Burg des Sheriffs auf dem Hügel so wie Kingsbridge die ihre
der Priorei. Unweit des Marktplatzes standen die großen Häuser der führenden
Bürger, der Wollhändler, der Hilfssheriffs und königlichen Beamten wie dem Leichenbeschauer.
Ein wenig weiter entfernt waren die Häuser wohlhabender Händler und Handwerker,
der Goldschmiede, Schneider und Apotheker. Giles‘ Vater handelte, wie sein Name
sagte, mit Gewürzen, und der Junge führte Caris in eine Straße, die zu diesem
Viertel gehörte. Wie die meisten Häuser dieses Standes hatte es ein Erdgeschoss
aus Stein, das als Lager und Geschäft diente, und darüber weniger solide
Wohnräume mit Wänden aus Holz. Das Geschäft war geschlossen und verriegelt.
Giles führte Caris die Außentreppe hinauf.
    Sie roch den
vertrauten Geruch nach Krankheit, kaum dass sie das Haus betrat. Dann zögerte
sie. An dem Geruch war etwas Besonders, das in ihrem Gedächtnis eine ganz
bestimmte Saite anschlug und sie aus irgendeinem Grunde mit Furcht erfüllte.
    Statt darüber
nachzusinnen, durchquerte sie das Wohnzimmer zum Schlafgemach, und dort fand
sie die schreckliche Antwort.
    Auf Matratzen lagen
drei Menschen im Raum: eine Frau in Caris‘ Alter, ein etwas älterer Mann und
ein halbwüchsiger Junge. Bei dem Mann war die Krankheit am weitesten
vorangeschritten. Er stöhnte und lag im Fieber. Sein am Hals offenes Hemd
entblößte einen Ausschlag
von purpur-schwarzen Flecken auf Brust und Kehle. An seinen Lippen und
Nasenlöchern klebte Blut. Er hatte die Pest.
    »Sie ist
zurückgekehrt«, sagte Caris. »Gott helfe mir.« Im ersten Augenblick lahmte sie
die Furcht. Reglos stand sie in dem Gemach, starrte die Szene an und fühlte
sich machtlos. Theoretisch war ihr stets klar gewesen, dass die Pest
zurückkehren konnte — ihr Buch hatte sie zur Hälfte nur deswegen geschrieben —,
doch selbst so war sie nicht auf den Schock vorbereitet gewesen, nun wieder
diesen Ausschlag zu sehen, das Fieber, das Nasenbluten.
    Die Frau erhob sich
auf einen Ellbogen. Bei ihr war die Krankheit noch nicht so weit
fortgeschritten: Sie litt an dem Ausschlag und dem Fieber, doch zu bluten
schien sie nicht. »Gebt mir etwas zu trinken, um der Gnade Jesu willen«, sagte
sie.
    Giles nahm einen Krug
mit Wein zur Hand, und endlich begann Caris‘ Verstand wieder zu arbeiten, und
ihre Erstarrung löste sich. »Gib ihr keinen Wein — davon wird sie nur
durstiger«, sagte sie. »Im Nebenzimmer habe ich ein Fass Bier gesehen — zapf
ihr einen Becher davon.«
    Die Frau
konzentrierte sich auf Caris. »Ihr seid die Priorin, nicht wahr?«, fragte sie.
Caris berichtigte sie nicht. »Die Leute sagen, Ihr seid eine Heilige. Könnt Ihr
meine Familie wieder gesund machen?«
    »Ich will es versuchen, aber eine Heilige
bin ich nicht, nur eine Frau, die die Menschen in Gesundheit und Siechtum
beobachtet hat.«
    Caris nahm einen
Leinenstreifen aus ihrer Tasche und band ihn sich über Mund und Nase. Zehn
Jahre lang hatte sie kein Pestopfer mehr gesehen, aber ihr war es zur
Gewohnheit geworden, aus Vorsicht die Leinenmaske zu tragen, wann immer sie mit
Kranken zu tun hatte, bei denen sie sich vielleicht anstecken konnte. Sie befeuchtete
ein sauberes Tuch mit Rosenwasser und wusch der Frau das Gesicht ab. Wie immer
beruhigte die Waschung die Kranke.
    Giles kam mit einem
Becher Bier zurück, und die Frau trank. Caris sagte zu ihm: »Lass sie so viel
trinken, wie sie möchten, aber gib ihnen Bier oder verdünnten Wein.«
    Sie ging zu dem
Vater, der nicht mehr lange zu leben hatte. Er konnte nicht mehr
zusammenhängend sprechen, und sein Blick irrte stets an Caris vorbei. Sie wusch
auch ihm das Gesicht und entfernte das getrocknete Blut an Nase und Mund.
Schließlich kümmerte sie sich um Giles‘ älteren Bruder. Er hatte sich erst
kürzlich angesteckt und

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