Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
lag, ein verfallenes steinernes Bauwerk mit Pfeilern, zu dem ein kleiner, ausgetretener Pfad von unordentlich verlegten Feldsteinen führte. »Und was ist das da?«
»Das?« Mesri folgte seinem Blick und seufzte. »Das ist unser Tempel.«
Obwohl Bralston es nicht gern zugab, merkte er in diesem Moment, dass er diesen Priester mochte. Er konnte an dem Mann keinen Fehler entdecken, abgesehen natürlich von dem naheliegenden, dass er ein Priester war. Aber er war ein Mensch, dem eindeutig etwas an seiner Gemeinde lag; das war allein schon durch die vielen Verzögerungen auf ihrem Weg durch die Stadt deutlich geworden. Mesri war jedes Mal stehen geblieben, wenn jemand sie ansprach, und hatte sich jedes Problem und jede Bitte angehört. Er hatte alle Anliegen sorgfältig durchdacht und jedem, angefangen von der Sorge um ein krankes Kind bis hin zur Klage über ein zerrissenes Netz eine klare und vernünftige Antwort gegeben. Nicht ein
einziges Mal hatte der Mann dabei zu der Floskel »Gott will es« gegriffen.
Bralston hatte jede Verzögerung, jedes Problem schweigend über sich ergehen lassen, ganz gleich, wie trivial es ihm vorkam. Jetzt jedoch, als er den zerfallenden, heruntergekommenen Tempel sah, der sich kaum von den Gebäuden des ebenfalls verfallenden, verlassenen Viertels unterschied, würdigte er den Mann neben sich eines bewundernden Blicks.
»Ist es keine Beleidigung für deine Göttin, dass sich ihr Tempel in einem solchen Zustand befindet?«, erkundigte er sich.
»Ich nehme an, Sie wäre noch viel beleidigter, wenn ich die wenigen Münzen, die es kostet, einen Ihrer hungernden Anhänger zu speisen, für einen neuen Teppich verwendet hätte.«
Bralston biss nachdenklich die Zähne zusammen. Nach einem Moment seufzte er, als würde er eine Niederlage eingestehen.
»Das Venarium pflegt Stipendien für Forschungszwecke zu vergeben«, erklärte er. »Wenn wir gezwungen sind, eine Siedlung, die keine eigene Regierung hat, für unsere Forschungszwecke zu ... benutzen«, er hielt inne und hustete, »zum Beispiel, um die Ursache für eine Veränderung im Migrationsverhalten der Fische zu untersuchen... müssen wir ein Stipendium bezahlen.«
»Zum Beispiel eines, welches für Essen in hungrigen Bäuchen und Decken über kalten Schultern sorgen würde«, antwortete Mesri und lächelte unter seinem Schnauzbart. »Ich weiß das Angebot sehr zu schätzen, Bibliothekar.«
»Selbstverständlich bestehen wir auf einer Politik schärfsten Säkularismus‹«, fuhr Bralston fort und betrachtete den zerfallenden Tempel. »Angesichts des allgemeinen Zustandes dieses Bauwerks jedoch kann ich mir nicht vorstellen, dass dies ein unüberwindliches ...«
»Ist es«, fiel Mesri ihm schnell und ernst ins Wort. »Ich
weiß Euer Angebot wirklich zu schätzen, Bibliothekar, aber leider muss ich es ablehnen. Ich kann von den Menschen hier nicht verlangen, dass sie sich von ihrer Schutzheiligen trennen.«
»Es ist ein ganz einfaches Ersuchen«, murmelte Bralston, der nicht verhindern konnte, dass seine Stimme etwas hitziger klang. »Betet sie in euren eigenen Häusern an, wenn es sein muss. Hauptsache, das Venarium sieht es nicht, dann muss es niemand erfahren. Es ist ein sehr großzügiges Angebot.«
»Das ist es, edler Herr«, antwortete Mesri. »Trotzdem muss ich es ablehnen. Wir sind Bewohner von Yonder. Die Bewohner von Yonder sind Anhänger von Zamanthras. Sie ist ein Teil dieser Stadt und ein Teil von uns.«
»Glaube sättigt die Hungernden nicht.«
»Geld definiert die Menschen nicht.«
»Das sagst du«, spottete Bralston. »Ich werde deinen Berufsstand niemals begreifen, Mesri, weder deinen noch den des Priesters, der mich hierhergesandt hat.«
»Ein Priester? Davon hat niemand etwas erwähnt.« Mesri runzelte die Stirn. »Wie ist sein Name?«
»Der Unparteiische. Miron der Unparteiische. Sogenannter Lord Emissär der Kirche von Talanas ...«
»Der Unparteiische?« Mesri entglitten die Gesichtszüge. »Wie ist das...?«
»Mesri! Mesri! «
Der Priester wurde von einem dunkelhäutigen jungen Mann abgelenkt, der aus dem Armenviertel herbeigerannt kam. Der Neuankömmling würdigte Bralston keines Blickes, als er vor dem Priester stehen blieb.
»Es ist schon wieder einer erkrankt«, keuchte der junge Mann. »Er schwört Stein und Bein, dass es Shict waren.«
»Selbstverständlich.« Mesri seufzte. »Es sind immer Shict ... oder Geister ... oder welches mörderische Hirngespinst auch immer sich da jemand
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